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Humorglosse Nr. 8

Autoren: Stephan Klein, Bad Krozingen

Gedanken eines Clowns zum Sein und Humor von Dementen

Diese Gedanken sind zunächst aus den Erfahrungen des Clowns mit dementen Menschen entstanden, hinzu kommt noch eine philosophisch-therapeutische Sichtweise. Die Sichtweisen mischen sich. Ich wage es nicht allgemeingültige Statements über den Humor von Dementen zu machen, dazu bräuchte es wohl noch weitere Jahre an Erfahrung im Seniorenheim. Eine Annäherung an den Status quo.

Was macht es aus, dass sich Demente und Clowns gegenseitig anziehen? Ganz sicher hat es mit der Zentrierung auf den Augenblick, auf das Jetzt zu tun. Für beide ist es die einzig existente Zeit. Keine Vergangenheit, oder nur Spuren davon, keine Zukunft.
In der Ausbildung zum Clown haben wir darüber nachgedacht, was das Komische ausmacht. Was macht eine Person komisch, egal, ob sie auf der Bühne oder im Leben steht?
Oft ist das innigst Eigene, eine Eigenart, die im Spiel gepflegt und übertrieben wird, die im Beobachter Heiterkeit auslöst und berührt.

Diese Eigenart oder dieser Eigensinn im nicht kognitiven Sinne ist auch bei vielen Dementen zu sehen. Sie wollen nichts mehr beweisen, haben, anders ausgedrückt, ihr Ego abgelegt und entwickeln sich wieder hin zu Originalen, die sie einst als Kind gewesen sind. Zwischen diesen 2 Lebensstufen haben wir alle besonders in der westlichen Gesellschaft mit der sog. Normopathie zu tun. Das ist die Krankheit, die uns unser Leben zu großen Teilen nach den Normen und Erwartungen anderer leben lässt.

Das sogenannte Eigene rückt in den Hintergrund, bzw. wird durch das Erfüllen-Wollen von fremden Erwartungen und Normen verschüttet. Die eigenen Erwartungen werden also durch die fremden Normen dominiert, bzw. determiniert. So verlieren wir unsere Originalität.
Da dieser Vorgang nur funktioniert, wenn bestimmte Hirnareale und damit unsere kognitiven Fähigkeiten intakt sind, kann, aber muss nicht der Verlust des Kognitiven mit dem Gewinn von Originalität und Humor einhergehen.
Wenn der Clown manchmal in das Gesicht eines Dementen schaut und es kommt zum Kontakt, ist das Gesicht schon komisch, ohne dass die demente Person irgendetwas macht.
Wir haben gelernt: Der gute Clown zeigt sich in seinem So-Sein und macht immer weniger. Er hat es schlicht nicht nötig, zu agieren, um komisch zu wirken. Demente und gute Clowns lassen sich nichts Komisches einfallen, sondern gemeinsam fällt ihnen das Komische auf.
So liegt ein Teil des Mysteriums der Komik in der Wahrnehmung – Wahrnehmung des alltäglichen Lebens mitsamt den Reibereien, die es uns bereitet. Wir können die Frage in den Raum stellen, wie verändert sich die Wahrnehmung und damit auch der Humor des Dementen.

Der mit wachsender Demenz immer feinmaschigere Filter der Wahrnehmung scheint noch die richtigen Zutaten zum Humor durchzulassen, die eher kontraproduktiv zum Humor wirkenden Bestandteile dagegen herauszufiltern.
Ein Dementer und ein Clown treffen sich auf einer kindlichen, unschuldigen Ebene, auf der das Spiel, das spielerische Aneignen der Welt geprobt wird. Das innere Kind ist beiden aus unterschiedlichen Gründen präsenter und greifbarer, als den meisten anderen Erwachsenen, die aus dem Spiel herausgewachsen sind.
Der Clown lernt in seiner hoffentlich fundierten Ausbildung im Ringen um Authentizität mit seinem inneren Kind wieder mehr verbunden zu sein. Der Demente ist aufgrund des Verlustes des Kurzzeitgedächtnis und zumindest fragmentarisch erhaltenen Langzeitgedächtnis oft nahe an ihrer Kindheit. Wenn z.B. durch das Medium Musik, welches sich weitestgehend dem Vergessen entzieht, ein Zugang zu einem frühen Lebensstadium erreicht wird, entstehen berührende Momente, die besonders im clownesken Kontakt gegenseitig vermittelt werden können.

Der Mensch ist erst Mensch, wenn er spielt, sagte Schiller. Auf dem Spielfeld können Clown und Demente durch das Spiel zum Traumpaar werden, indem sie einen kurzen Augenblick das Glück miteinander teilen.
Aller Humor fängt damit an, die eigene Person nicht ganz so ernst und wichtig zu nehmen, sagte Hermann Hesse. Dieses Hesse-Zitat ist wohl das Fundament einer Humorentwicklung. Aber Vorsicht! Während es ein dementer Mensch aufgrund seiner somatischen Veränderungen im Gehirn mit dieser Voraussetzung für den Humor nicht so schwer hat – oft gibt es für ihn nichts zu erreichen, nichts darzustellen, kein „um zu“ ist es für uns als Clown und gesunder Mensch eine große Herausforderung, diese Hürde zu nehmen.
Es fällt uns leicht, wenn es uns gut geht, wir uns in den Augenblick entspannen können. Aber was ist, wenn der Spaß aufhört, wie z.B. in einem Konflikt? Bleibt dann die Grundhaltung eines inneren Lächelns erhalten?

Können wir im Streit die rote Nase in unserer Hosentasche berühren und uns damit erinnern, uns nicht zu wichtig zu nehmen, statt zu kämpfen, uns zu behaupten, Recht haben wollen???
Du kannst entweder Recht haben, oder Kontakt besagt ein alter Zen-Spruch. Diese Erinnerung bleibt für die meisten von uns eine lebenslange Aufgabe. Wir können versuchen, dabei von anderen zu lernen, auch von Dementen.
Während ich die Zeilen selbst lese, sehe ich die Gefahr einer Verallgemeinerung des Krankheitsbildes Demenz. Mir ist bewusst, dass Demente auch ganz anders, sogar konträr zu dem oben Beschriebenen erscheinen können. Zum Abschluss meiner Gedanken möchte ich noch 3 Fragen in den Raum stellen, die mich bewegen:

Könnten wir in einem oder anderen Fall Demenz als Erlösung von der Normopathie verstehen, jener präkeren Neigung, unser Leben zu großen Teilen nach den Normen der anderen zu leben, statt auf unsere eigene, innere Stimme und damit unserem Wesenskern zu lauschen???

Wir haben uns ein Leben lang angepasst. Könnte es nicht ein Krankheitsgewinn sein, dass sich nun die Welt der dement gewordenen Person anpassen muss? Ist hier das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen?

Humor und Lachen verbindet uns mit den Anderen und mit uns selbst, mit der Welt und dem Mysterium, das größer ist als wir selbst.

Stephan Klein
Bad Krozingen

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