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Humorglosse Nr. 5

Autoren: Prof. DDr. Rolf D.Hirsch Chefarzt für Gerontopsychiatrie

Der verrückte Alte – Prävention durch Humor?

Wir werden immer älter. Daher nimmt auch die Anzahl der Menschen mit Demenz zu. Demenz ist ein Überbegriff für unterschiedlichste Krankheitsbilder. Die häufigste Form ist die Alzheimer’sche Erkrankung. Sie beginnt angeblich schon mit 30 und äußert sich dann im höheren Lebensalter durch vielfache Symptome. Ohne Zweifel ist sie eine sehr schwere Erkrankung, die den Kranken in eine Welt führt, die kein anderer mehr versteht. Diese Menschen sind verrückt. Für Angehörige ist das Leid meist größer als für die Betroffenen.

Wenn dem so ist, kann man selbst etwas dagegen tun? Kann man die Erkrankung bewusst oder unbewusst- sich erträglicher oder gar fröhlich gestalten? Vielfältige Ratschläge und Leitlinien sowie evidenzbasierte diagnostische und therapeutische Maßnahmen gibt es. Kaum etwas hilft wirklich weiter und wenn, dann nur kurz, was natürlich auch schon etwas ist. Außer, man wird eben nicht alt. Da selbst nur ein Teil der 90-Jährigen unter einer Demenz leidet (muss man oder kann man unter ihr leiden?), hält man sich an die Vogel-Strauß-Politik, altert vor sich hin und ein Teil wird dann dement. Der eine wird mürrisch, der andere aggressiv (was immer das heißt), apathisch oder überaktiv. Es gibt aber auch Kranke, die vor sich hin lächeln, heiter in die Runde blicken oder tanzend durch den Raum wandern. Manche grinsen einen an, wenn man eine Frage stellt, sodass der Fragesteller sich nicht sicher sein kann, ob er ernst genommen wird. Was sind schon Fragen? Man muss ja nicht alles beantworten. Auf die Frage, wie alt er wäre, antwortet ein älterer Herr mit einer Demenz: So alt wird kein Hund. Der Frager und der Antworter lachen sich an. Ist es so wichtig, das kalendarische Lebensalter zu wissen, wenn bekannt ist, dass das funktionelle wichtiger ist? Sind Menschen mit Demenz weise? Manchmal hat man schon den Eindruck. Sicherlich ist auch das Milieu entscheidend, wie man eine Demenz lebt.

Sind humorvolle Menschen, wenn sie eine Demenz haben, fröhlicher? Bleiben Optimisten dann auch optimistisch? Wenn alles Erlernte wie weggeblasen ist, wenn alle mühevoll antrainierten Sozialisationsweisen vergessen werden, was ist dann? Kommt dann das bisher mühevoll verborgene Ekel oder der Misanthrop hervor? Ist man dann herrisch, aufbrausend, schreit und schlägt? Meine Mutter hatte immer eine gewählte Aussprache. Jetzt benutzt sie die schlimmsten Gassenausdrücke. Ich schäme mich so für sie, äußert eine besorgte Tochter. Eltern schämen sich für ihre Kinder und dann Kinder für ihre Eltern? Sollte man die bekannte Äußerung „Sei nett zu deinen Kindern, denn sie suchen dein Altenheim aus“ ernst nehmen? Es ist doch eigentlich toll, wenn man von einer vornehmen Dame als A… betitelt wird. Endlich kann sie sich so ausdrücken, wie sie es schon immer einmal wollte. Sie ist spontan, etwas, was man doch eigentlich fördern sollte.

Denkt man an das Gedicht „Es sitzt ein Vogel..“ von Wilhelm Busch, so könnte man dies aufgreifen wie z. B.:

  • Weil ich nun dement einmal bin,
  • und mich die Demenz ganz umringt,
  • so will ich keine Zeit verlieren,
  • will fröhlich sein und heiter singen,
  • und vor mich hin so dementieren.
  • Der Mensch, der scheint mir, hat Humor!

Der Vogel von Wilhelm Busch erkannte seine Ausweglosigkeit. Viele Menschen mit Demenz erleben oder fühlen, dass in ihrem Kopf etwas anders wird, dass sie nicht mehr so frei wie bisher über ihn verfügen können und fühlen sich dem Vorgang hilflos ausgeliefert. Und dann lebt und erlebt jeder seinen individuellen Verlauf der Erkrankung mit den unterschiedlichsten hieraus resultierenden Einschränkungen. Mancher findet den Weg zum Humor oder der Humor findet ihn. Mancher hat den Sinn für Humor immer schon mehr oder weniger gehabt und kann sich nun an ihn halten. Kognitionen vergehen, Emotionen und mögen sie auch manchmal grotesk sein, bleiben. So auch der Humor? Mag das auch für Außenstehende komisch klingen, so ist es schon beeindruckend, wie manche Menschen trotz Defizite ihrem Schicksal lächelnd oder lachend begegnen. Manchmal ist eine Art von Würde darin, die einen innehalten und staunen lässt. Es geht nicht mehr um Leistung oder Anerkennung, sondern um das pure Menschsein.

So denke ich an meinen ersten Arbeitsplatz in der Gerontopsychiatrie. Eine 80-jährige kleine Patientin mit schwerer Demenz, die weder stehen noch gehen konnte, geschweige denn sprechen oder irgendetwas anderes, lag in ihrem Bett, meist entspannt und eingerollt. Kam man auf sie zu, sah sie einen etwas erstaunt und leicht irritiert an. Plötzlich lächelte sie verschmitzt und kicherte vor sich hin. Manchmal entwich ihr ein kleiner Wind, den sie mit Kichern begleitete. Dieses wirkte auf die Anwesenden immer ansteckend! Jeder vom Pflegepersonal wollte sie versorgen. Sie war der Liebling der Station. Ihr Wesen steckte an und nach der Pflege war die Mitarbeiterin fröhlich und heiter gestimmt! Heiterkeit: die beste Prävention bei Demenz?

Als ich mich zu einer 85-jährigen Patientin mit einer Demenz setze und mich mit ihr unterhalten will, lächelt sie mich freundlich an und meint: Schön, dass Du kommst, ich habe dich schon vermisst. Sie lächelt mich an, auch wenn sie meine Worte und Fragen nicht versteht. Sie bleibt heiter gestimmt und lässt sich auch durch eine unwirsche Bemerkung einer Mitpatientin nicht davon abbringen. Vom Pflegepersonal höre ich, dass sie immer so heiter ist und eine gewisse Gelassenheit ausstrahlt. Sie würden sie gerne pflegen.

Einen jetzt 75-jährigen Patienten konnte ich mehrere Jahre begleiten. Hatte er erst wenige Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, so nahmen diese im Laufe der Zeit und auch weitere Hirnleistungsstörungen erheblich zu. Als die Diagnose Alzheimer gestellt war und seine Erkrankung noch im Anfangsstadium war, klagte er über merkwürdige Kopfschmerzen. Bei seinem stationären Aufenthalt war er auch in der Humorgruppe (zweimal wöchentlich stattfindende Therapie-Gruppe, primär für alte Menschen mit einer Depression). War etwas komisch, wurde eine Anekdote oder Witz erzählt, war er der erste, der laut und prustend loslachte. Man hatte den Eindruck, die soziale und kognitive Sperre war brüchig oder wurde immer kleiner. Er fühlte quasi die komische Inkongruenz und reagierte ohne Umwege. So spontan zu reagieren ohne Einschaltung des Hirnapparates kann einen auch neidisch machen. Könnte man von diesem Kranken nicht lernen?

Jan Wojnar, ein mit Humor ausgestatteter Gerontopsychiater, berichtet, dass er eines Tages eine Patientin überreden wollte, ihre Medikamente zu nehmen. „Sie schaden mit Sicherheit nicht. Haben sie kein Vertrauen zu mir?“ Papperlapapp! antwortete ihm diese. „Wenn Sie ein echter Arzt wären, würden Sie kranke Menschen behandeln, anstatt eine gesunde Frau zu belästigen!“ Ist das närrisch oder versteckte Weisheit? Barbara Romero, der Leiterin des Alzheimer-Zentrums in Bad Aibling stimme ich uneingeschränkt zu, wenn sie meint, dass Menschen mit Demenz unsere Lehrmeister sein können! Man muss nur hinsehen, fühlen und verstehen! Auch Lachen kann man von ihnen lernen!

Es ist nicht erstaunlich, dass freundliche fröhliche Menschen, wenn sie Hilfe benötigen, liebevoller, mit Herz und Geduld intensiver gepflegt werden als alte Ekel. Nun könnte man davon ableiten, dass wenn man schon keine Demenz verhindern kann, so doch der Umgang mit einem beeinflusst werden kann. Wie kann ich lernen, meinen Sinn für Humor so zu verinnerlichen, dass, wenn alle kognitiven Stricke reißen oder gerissen sind, ich diesen quasi als Schutz für mich habe. Humor als Schutzmacht vor zu viel, zu wenig oder falscher Pflege und Betreuung. Ich brauche „Eselsbrücken“, etwas eidetische Vorstellungen, um diese früh genug zu internalisieren. Lebenslange Aufmerksamkeit für Komik, für clowneske Situationen und die Umwandlung von Missgeschicken zu Herausforderungen zur Optimierung des Humors zahlt sich aus!

Aus einer Untersuchung geht hervor, dass Menschen mit einer leichten Hirnleistungsstörung, wenn sie diese nicht so tragisch nehmen, erheblich seltener und langsamer eine Demenz bekommen als andere, die jeden Fehler vermeiden wollen, zu korrekt und kontrolliert sind. Gibt es auch noch wenig Untersuchungen hierzu, so könnte es sein, dass zwanghafte, überkorrekte, zu ordentliche und sich keine Fehler verzeihende Menschen eher eine Demenz bekommen und dann vermutlich auch wenig sozial verträglich sind. Sie scheinen sich selbst in der Demenz noch Vorwürfe zu machen, dass sie dement sind. Wer immer schon etwas schusselig war, das Leben und sich selbst nicht zu ernst genommen hat, trotz Schwierigkeiten immer noch eine komische Seite daran gefunden und seinen Sinn für Humor gefördert hat, der dürfte gegen eine Demenz zumindest etwas gewappnet sein. Bekommt er sie dann doch, so kann er getrost darauf bauen, ein fröhlicher närrischer Alter zu sein, dem gerne geholfen wird. Heiterkeit ist ansteckend! Pflege mit Heiterkeit gewürzt hilft allen!

Es ist mir oft alles zu kompliziert. Meine Tochter mäht sich so. Muss ich das alles noch begreifen? fragt mich eine ältere Dame mit Demenz. Auch wir klagen oft, dass vieles so kompliziert geworden ist und wir manches nicht mehr verstehen. Doch, um mit Einstein zu sprechen, muss man die Welt nicht verstehen, um in ihr leben zu können. Heiterkeit und Lachen, Frohsinn und Sinn für Humor sind Fähigkeiten, die einem mehr oder weniger in die Wiege gegeben sind, während des Lebens gepflegt werden müssen und bei vielen Menschen mit Demenz in unterschiedlicher Weise anzutreffen sind.

Der Sinn für Humor bleibt bei den meisten Kranken noch lange erhalten. Herzhaftes Lachen, das zudem ansteckt, ist keine Seltenheit. Zu beobachten ist, dass durch Humorinterventionen die soziale Atmosphäre sich verbessert. Sinnvoll sind eher nonverbale Humorinterventionen (in Form von Gestik, Mimik, Körperhaltung, Sprachmelodie) einzusetzen und weniger sprachliche. Voraussetzung ist, dass Angehörige und Professionelle über eine gute Portion Humor verfügen und diesen pflegen. Gerade herausforderndes Verhalten von Menschen mit Demenz erfordert eine humorvolle Begegnung. Humor ist in Beziehungen eine Trotzmacht gegen Aggression! Wer lacht, dämmert nicht vor sich hin!

Gibt es auch noch kein Zaubermittel gegen Demenz, so könnten zudem durch Förderung des Humors von Menschen mit Demenz und der sie Pflegenden zumindest einige Smiley-Strahlen in die Dunkelheit der Situation kommen. Angehörige können lernen, komische Situationen zu erfassen und sich mit Humor gegen die Alltagsschwierigkeiten zu wappnen (z. B. täglich Anekdoten lesen, humorvolle Videoclips ansehen). Ein besonderes Mittel kann hierbei oft die Rote Nase sein. Sie kann Erinnerungen an Fröhlichkeit, Offenheit und Verstehen auslösen und so tragische Situationen verringern. Es reicht nicht aus, mit Karl Valentin zu klagen Mögen hätten wir schon wollen – aber trauen haben wir uns nicht dürfen! Menschen mit Demenz sollten wir nicht ständig nur wie Pflegebedürftige behandeln, sondern wie Menschen, die auch ein Menschenrecht auf Heiterkeit und Humor haben! Selbst sollten wir achtsamer mit unseren Missgeschicken, kleinen Fehlern und unserem Drang nach Perfektionismus umgehen und sie humorvoll meistern lernen.

Prof. DDr. Rolf D.Hirsch Chefarzt für Gerontopsychiatrie, Humorforscher, HCD-Mitglied.

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