Dadaistisches Manifest
oder:
Cordon Bleu ist auch nicht alles …
Da ist schon eher nichts alles, denn nichts ist gar nichts, und darin hat wenigstens alles Platz. Mal rein theoretisch gesehen.
Wissen Sie eigentlich, dass es weise Leute gibt, welche sagen, alles habe in der Leere angefangen? Irgendwann und unverhofft hätte es zack! oder puff! oder peng! gemacht, und aus der Leere sei ein Gedanke entwischt – wie weiland der Graf von Monte Christo aus seinem Kerker. Schwupp, und weg war er. Und wie der Graf von Monte Christo war dieser entfleuchte Gedanke so reich wie Krösus. Während der Graf aber konkretes Hab und Gut hatte, besaß der Gedanke nichts als eine einzige Idee – oder vielmehr ein Wissen, eine Information. Er wusste um die Gesetzmäßigkeiten der Frequenzen, das heißt der Schwingungen. In der
Leere schwang nichts, das heißt alles war bewegungslos.
Da aber alles nichts ist, war nicht nur alles bewegungslos, sondern auch nichts. Und dies ist das Urmysterium der Vorschöpfung, jenes Große Rätsel, welches die Menschen, die es gewohnt sind, sich auf den Verstand zu verlassen, in ihr ureigenes, persönliches Labyrinth treibt und dort dem langsamen wahnsinnig Werden überlässt. Die Ideen sind nämlich völlig herzlos, und jene vom großen Mysterium haben noch nicht mal eine Erinnerung an so etwas wie eine gefühlsmäßige Regung.
Während der Gedanke, kaum der Leere entwischt, seine Schwingungsfrequenz reduziert und dadurch zu Licht wird, bleibt die Leere unbeeindruckt und still an ihrem geheimen Nicht-Ort in einer unfassbaren mathematischen Dimension, für die es kein Fassungs- oder Vorstellungsvermögen gibt, sondern bloß eine oder mehrere Zahlen, vielleicht Zeichen.
Mit dem Licht allein ist es aber noch nicht getan. Jetzt hat der Gedanke wohl Licht in seiner Schöpfung, aber niemanden, der oder die den Rambazamba darin auslösen würde. Und nach diesem sehnt sich der Gedanke, nachdem er seine gesamte schlafende Existenz in der Ruhewanne der Leere zugebracht hat. Er reduziert die Schwingungsfrequenz des Lichtes weiter; und zwar so weit, bis das Licht scheidet wie die Milch und sich in seine Bestandteile, die sogenannten Lichtquanten oder Particums (Teilchen) auflöst. Das Raffinierte an diesem Vorgang ist wiederum eine ganz spezielle Eigenart, nämlich die Geburt des Individualbewusstseins: jedes Quantum besitzt seinen eigenen, unverwechselbaren Charakter – ähnlich den Wassertropfen im Ozean.
Und als die Quanten erwachten, sich ihrer selbst gewahr wurden und als das erkannten, was sie waren, schauten sie einander zuerst einmal lange und neugierig an und brachen dann in jenes legendäre Gelächter aus, das man heute allgemein im Universum den Urknall nennt. Es hat sich also alles, was ist, war und sein wird, mit dem größten Lachen der kosmischen Geschichte in Bewegung gesetzt. Man kann sagen: Das Leben bekam seinen Anstups durch das Urlachen. Damit Ihnen nicht alles vorgekaut wird wie in der Schule, dürfen sie jetzt den Faden der Geschichte weiterspinnen; von mir aus bis in die Gegenwart oder gar in die Zukunft. Und vergessen Sie nicht: Cordon Bleu ist nicht alles.
Die Lichtquanten schwebten in riesiger unendlicher Zahl in der undefinierbaren Zeit- und raumlosen Dimension der Ortlosigkeit. Es war eine einzige gigantische Lightshow von flackernden, flirrenden und in allen Farben des Regenbogens schillernden und leuchtenden Teilchen, die sich allesamt noch nicht klar darüber waren, dass sie nicht wussten, was sie tun sollten, wozu sie aus der Leere in den Kosmos gesprengt worden waren. Erstmals und nach und nach erkannten sie, dass durch ihre innere Bewegtheit, das oszillierende Denken, Bilder entstanden, die sich miteinander vermischten und vermengten. Das waren keine zweidimensionalen Bilder, keine Flächen, sondern Bilder mit den Dimensionen Länge, Breite, Höhe und Tiefe, das heißt Perspektive, also Raum. Sie sahen eine neue Welt sich vor ihnen auftun und verstanden ziemlich schnell, dass ihre Schwingungsfrequenz dafür zuständig war, dass sie selbst – noch kaum bewusst – die Erschaffer dieser Entwürfe, dieser Vor-Bilder waren.
„He, wir sind dabei, eine Welt zu kreieren“, ertönte es aus der Menge. Und: „Wir sind die Herren über Raum und Zeit.“ „Lasst uns Spaß haben“, riefen einige. „Erfinden wir Geschichten.“ „Machen wir, was noch nie gemacht worden ist. Bauen wir Bühnen und Bühnenbilder. Erfinden wir Geschichten, Dramen zum Lachen und zum Weinen. Loten wir unsere Potenziale und Talente aus. Machen wir uns mit Glück und Unglück vertraut, lernen wir Krieg und Frieden kennen, Liebe und Hass, Gut und Böse. Vergessen wir, dass wir unfehlbar sind und alles können. Probieren wir die Beschränktheit aus, inszenieren wir einen Jahrmarkt, schlüpfen wir in Rollen, kreieren wir unbedarfte Träume in beschränkten Szenarien.“
Wie auf ein Signal hin wurden alle Lichtpartikel praktisch unisono unendlich kreativ. Was ihnen einfiel wurde übergangslos zu handfester Wirklichkeit. Sie stellten sich die Welt vor, und schwupp! war sie da. Aus der Distanz schauten sie sich das Erschaffene an und freuten sich darüber.
Das ging eine Zeitlang gut. Bis aus dem Unbekannten der Zweifel auftauchte. Dieser brachte sie auf die Frage, ob es nicht noch viel besser und sinnlicher wäre, wenn sie persönlich in ihre Schöpfungen einsteigen und diese „hautnah“ am „eigenen Leib“ erleben könnten.
Damit begann der ganze Schlamassel, der heute allgemein unter dem Namen Menschheits- geschichte bekannt ist. Das Lachen zog sich zurück, und vom Cordon Bleu war noch weit und breit nichts zu sehen…
Es grüßt René Herzbube MacDurchzug
(René Schweizer, Basel)