Eine unglaubliche Hasen-Geschichte
Es war Frühjahr, kurz vor Ostern, Anfang der sechziger Jahre. Wir fuhren mit dem Auto nach einer Veranstaltung in Marburg nachts auf der Landstraße zurück. Der vor uns fahrende Mercedes hatte einen Hasen überfahren, der auf die Straße gesprungen war, und war weitergefahren. Mein Vater hielt unseren VW-Käfer an und sah, dass der Hase tot, aber sonst unversehrt war.
Genick gebrochen, tot, sagte mein Vater zu uns. Was tun? Das nächste Forstamt informieren? Oder die Polizei? Wie sollten wir das in der Nacht finden?
Meine Mutter dachte ganz praktisch: Das gibt einen leckeren Osterbraten! schlug sie vor. Aber das Tier einfach mitnehmen, dazu in der Schonzeit? Alle Bedenken wurden schließlich zerstreut, und der tote Hase wurde auf eine Zeitung in den Kofferraum gelegt. Zuhause hängte ihn meine Mutter auf dem Dachboden zum Ausbluten auf.
Am nächsten Vormittag klingelte es an der Haustür. Meine Mutter öffnete.
Ein junger Mann stand vor der Tür und erklärte: Ich bin der neue Lehrling in der Metzgerei gegenüber und soll den Hasen holen.
Meine Mutter stotterte: Äh Ja, wie? Woher wissen Sie?
Die Chefin hat gesagt, ich soll den Hasen holen, mehr nicht.
Ja, was wollen Sie denn damit machen?
Ich soll ihn abziehen.
Und was kostet es, das Fell abzuziehen?
Gar nichts, ich soll das ja lernen.
Gut, sagte meine Mutter, ging auf den Dachboden, hängte den Hasen von gestern ab und übergab ihn dem Schlachterlehrling. Der zog zufrieden ab.
Am nächsten Tag kam meine Mutter zum Einkaufen in die Metzgerei. Die Chefin fing lauthals an zu lachen und kriegte sich kaum mehr ein. Meine Mutter war perplex. Schließlich klärte die Metzgersfrau die Sache auf: Wir haben gerade einen neuen Lehrling bekommen und haben uns überlegt, was wir mit ihm am 1. April machen.
Sollen wir ihn in die Gaststätte schicken, aber wegen was?
Oder in die Apotheke, um Zaunlattensamen zu holen? Das wäre zu offensichtlich gewesen. Also haben wir ihn ins Pfarrhaus geschickt, er soll den Hasen holen. Wir konnten ja nicht ahnen, dass Sie tatsächlich einen Hasen haben, jetzt in der Schonzeit.
Jetzt verstand meine Mutter den misslungenen Aprilscherz.
Sie lachte nun heftig mit und erzählte ihrerseits, was in der letzten Nacht vorgefallen war.
April, April!
Christian Lundbeck