Auf der Suche
Seit Wochen hatte ich starken Juckreiz an beiden Armen. Und das drei Tage vor Weihnachten. Von Tag zu Tag wurde der Juckreiz schlimmer, und er trat dann auch in der Nacht auf. Es war sehr lästig. Trotzdem hatte ich die Hoffnung, dass es sicher von ganz allein wieder aufhören würde. Ich bin ja schließlich Optimist. Bis Neujahr hatte ich ohnehin Urlaub, und da war es auch nicht so schlimm, dass ich nachts nicht durchschlafen konnte. Wenn ich nachmittags müde wurde, konnte ich mich ja hinlegen.
Als ich dann aber wieder zur Arbeit musste, war das natürlich eine ganz andere Sache. Ab 13.00 Uhr kämpfte ich mit meinen Augenlidern und konnte die Augen kaum offen halten. Es war eine Quälerei bis zum Feierabend. Eine Woche hielt ich das so durch. Dann aber konnte ich wirklich nicht mehr.
In meiner zweiten Arbeitswoche nach dem Weihnachtsurlaub suchte ich im Internet einen Dermatologen in meiner Umgebung. Ein Dermatologe mit dem schönen Namen Hahn war mir sympathisch. Seine Praxis befand sich in einer 15 km entfernten Kleinstadt am Neckar. Dort rief ich an. Es dauerte eine Weile, bis jemand den Telefonhörer abnahm. Aber das ist eben so in Arztpraxen. Und ich dachte, dass wahrscheinlich sehr viel los war in der Hautarztpraxis.
Dann, endlich wurde der Hörer abgenommen. Die Sprechstundenhilfe leierte ihren Spruch herunter, von dem ich kein Wort verstand. Ich fragte: Wann kann ich bei Ihnen einen Termin bekommen?
Sie antwortete, jetzt etwas besser verständlich: Ende Februar!
Oh Gott, dachte ich und hatte sofort das Bild vor mir, dass ich mir bis dahin bereits meine Haut abgekratzt hatte. Ich kratzte mich nämlich inzwischen mit einer kleinen runden Plastikbürste, wie sie früher oft von jungen Männern benutzt wurde, um sich noch schnell die Frisur zu richten, wenn es zur Liebsten ging.
Ich sagte: So lange kann ich nicht warten! Was ist, wenn der Fall akut ist?
Kurze Pause. Dann fragte sie zurück: Was haben Sie denn?
Ich erklärte ihr, dass meine Haut an beiden Armen so sehr juckt, dass es manchmal sogar blutet. Und dass ich auch nachts kratzen muss, und ich mich tagsüber bei der Arbeit kaum wach halten kann.
Darauf erklärte sie: Morgen früh 7.45 Uhr. Mit Wartezeit!
Morgen?, fragte ich erstaunt? Morgen ist doch Samstag!
Wir arbeiten auch samstags. Aber nur bis 14.00 Uhr!
OK. Ich bin ja froh, dass mir so bald wie möglich geholfen wird.
Am nächsten Morgen stand ich sehr zeitig auf, damit ich rechtzeitig losfahren konnte. Ich hasse Verspätungen. Den Ausdruck aus dem Internet mit der Adresse nahm ich mit. Da stand: Königstraße 25. Ich wusste, wo diese Straße ist und konnte also sorgenlos zufahren.
In der Kleinstadt angekommen, suchte ich einen Parkplatz und löste einen Parkschein, der für eine Stunde 1,00 Euro kostete. Mehr konnte man an dem Automaten gar nicht lösen, und ich nahm somit ein Knöllchen in Kauf. Die Hautarztpraxis war wichtiger. Nun suchte ich die Hausnummer 25. Aber an dem Haus war kein Schild angebracht, auf dem Dr. Hahn stand. Ich fragte eine junge Frau nach der Praxis. Sie klärte mich auf, dass ich ein bisschen zu weit gefahren war und ich mich schon in der nächsten Straße befand. Okay. Also wieder ins Auto, umgedreht und zurückgefahren. Wieder suchte ich einen Parkplatz. Und wieder suchte ich die Hausnummer 25. Und da war sie auch. Aber wieder kein Schild mit dem Namen Dr. Hahn. Ich fragte eine Passantin. Sie zeigte zum Seiteneingang, nachdem ich sie nach der Hautarztpraxis gefragt hatte. Erleichtert ging ich zum Seiteneingang. Der Aufzug stand offen.
Ich schaute rein, sah aber kein Schild, auf dem Dr. Hahn stand. So langsam wurde ich nervös und genervt. Ein älterer Herr kam die Treppe herunter. Ihn fragte ich nach Dr. Hahn. Er lächelte und winkte ab. Ach, diese Praxis ist schon jahrelang nicht mehr in diesem Gebäude!, erklärte er mir hilfsbereit und beschrieb mir sogleich den Weg, wie ich zur neuen Praxis finde. Es sei ein riesengroßes Gebäude, in dem mehrere Ärzte, ein Biomarkt, eine Apotheke usw. untergebracht seien. Also stapfte ich durch den Schnee, wieder zum Auto zurück. Ich konnte nicht direkt umdrehen, sondern musste erst wieder ein Stück in die falsche Richtung fahren, bis ich wenden konnte. Inzwischen war es schon nach 8.00 Uhr. Mein Herz schlug immer stärker, und ich hatte langsam eine richtige Wut.
Es war wirklich ein riesengroßes Gebäude. Als ich mein Auto erneut geparkt hatte (hier benötigte ich keinen Parkschein. Der gelöste Parkschein lag vorne an der Windschutzscheibe), ging ich auf den großen Eingang zu, vor dem eine große Tafel stand, mit allen Ärzten, die sich in dem Gebäude befanden. Ganz unten rechts stand Dr. Hahn. Endlich!, dachte ich. Aber wo war der Eingang Nord? Ein junger Mann ging zu seinem Auto. Ihn fragte ich, ob er wisse, wo die Praxis von Dr. Hahn ist. Er sagte: Ja, die ist dort hinten im Erweiterungsbau, wo auch die Apotheke ist. Also ging ich über das große Areal zum Erweiterungsbau. Ein älterer Mann ging vor mir durch den Eingang in den Aufzug. Dort suchte ich nach dem Schild, auf dem Dr. Hahn stand. Doch da war nichts. So fragte ich den älteren Herrn, ob er wisse, wo die Praxis von Dr. Hahn war. Er schüttelte nur den Kopf. In diesem Moment kam eine junge Frau zur Tür herein, die in die Apotheke ging. Sie hatte meine Frage gehört und rief: Nee, nee, da müssen Sie ganz um das Haus herumgehen. Dort ist die
Praxis von Dr. Hahn.
So richtig konnte ich das zwar nicht glauben, weil in dieser Stadt wohl keiner wusste, wo sich diese Praxis befindet. Aber ich marschierte los, denn ich wollte ja nichts unversucht lassen. Als ich hinter dem Gebäude ankam, sah ich tatsächlich, dass an der Hauswand ein Schild angebracht war. Erleichtert ging ich auf den Eingang zu. Auf dem Schild stand aber wieder nicht Dr. Hahn. So langsam setzte bei mir die Schnappatmung ein. Ein Stück weiter war noch einmal ein Eingang. Also ging ich auch zu dieser Tür, aber auch da stand nicht Dr. Hahn drauf. Am liebsten hätte ich nun ganz laut meine Wut hinausgeschrien.
Da kam ein Lieferwagen mit Handwerkern auf diesen Hof gefahren. Letzte Chance!
Ich fragte den Handwerker, der zuerst ausstieg, nach der Praxis von Dr. Hahn.
Er sagte: Da müssen Sie dort hinten, nach links hinuntergehen. Dort ist die Hautarztpraxis.
Ich hätte fast einen Luftsprung gemacht, aber da setzte er nach und sagte: Aber die ist doch zu! Schnappatmung setzte ein. Ich hauchte verzweifelt: Aber, aber das kann doch nicht sein. Ich habe doch einen Termin für heute morgen! Daraufhin meinte der Handwerker: Ja dann. Ich lief in die Richtung, die der Handwerker angegeben hatte. Und da war es!
Da war es endlich, das Schild mit der Aufschrift Dr. Hahn!
Es war inzwischen fast 8.30 Uhr. Und da sah ich es dann.
Das DIN A4-Blatt, auf dem geschrieben stand:
Unsere Praxis ist bis auf Weiteres wegen Wasserschaden geschlossen.
In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an Dr. Eisfelder, Saline 5.
Das durfte jetzt wirklich nicht wahr sein! Ich musste nun wieder zurück durch die ganze Stadt. Am Stadteingang befand sich die Saline. Aber so klein ist die Saline nun auch nicht. Immerhin sind es drei Straßen, die sich dort befinden. In den ersten zwei Straßen hatte ich wieder kein Glück. Alles Firmen und Bürohäuser. Wieder drehte ich um; das war ich ja inzwischen gewöhnt. Dann fuhr ich noch in die dritte und letzte Straße hinein. Ein Mitarbeiter einer dort ansässigen Firma stieg gerade aus seinem Auto aus. Ich hielt an, ließ die Scheibe runter und fragte: Können Sie mir bitte sagen, wo ich die Praxis von Dr. Hahn finde? Er schaute mich fragend an. Da merkte ich, dass ich ja nach Dr. Eisfelder fragen musste. Ich korrigierte mich schnell, und er konnte mir genau sagen, wo Dr. Eisfelder seine Praxis hat. Ich fuhr dorthin, und tatsächlich. Die Praxis befand sich dort. Ich fühlte mich wie im Märchen.
Nach fünfeinhalb Stunden Wartezeit wurde ich endlich von der Sprechstundenhilfe aufgerufen. Sie brachte mich in eines von mehreren Behandlungszimmern. Dort wartete ich noch Mal über eine halbe Stunde.
Aber dann kam er endlich, der Dr. Eisfelder. Ich zeigte ihm meine Arme und er fragte mich, was ich in den letzten Wochen oder Monaten geändert hätte. Ich hatte aber nichts geändert. Einen Allergietest konnte er nicht machen, weil meine Hausärztin mir ein Antiallergikum verschrieben hatte. Er ließ mir Blut abnehmen und stellte mir ein Rezept aus. Bevor er den Raum verließ, sagte er, wenn die Salbe nicht hilft, sollte ich mich wieder melden. Dann müsste er sich das genauer ansehen.
Mit knurrendem Magen fuhr ich nach Hause, aß etwas und sah in der Zeitung nach, welche Apotheke Wochenenddienst hatte. Da stand, dass die Schillerapotheke im nächsten Ort dienstbereit sei.
Ich fuhr dort hin. Ich klingelte. Da sagte eine Computerstimme: Wir sind nicht dienstbereit. Bitte informieren Sie sich an dem nebenstehenden Informationstafel.
Auf dieser Tafel war die nächstliegende Apotheke noch einen Ort weiter angegeben. Dort soll die Engel-Apotheke anscheinend Dienst haben. Ich fuhr in den nächsten Ort. Auswendig wusste ich nicht, wo die Engel-Apotheke war. Langsam fuhr ich die Hauptstraße entlang, um nach der Engel-Apotheke Ausschau zu halten.
Auf der linken Seite war mal die Central-Apotheke und ein Stück weiter dann auf der rechten Seite die Bahnhof-Apotheke. Ich parkte am rechten Straßenrand und ging zur Bahnhof-Apotheke, um zu sehen, was dort auf der Informationstafel stand. Engel-Apotheke stand jedenfalls nicht drauf.
Ich fragte eine Frau, die gerade den Gehweg vom Schnee befreite, nach der Engel-Apotheke. Sie gab mir freundlich Auskunft. Ich musste wieder ein Stück zurückfahren. Und am Ende der Hauptstraße war sie dann auch, die Engel-Apotheke. Wieder parkte ich mein Auto und ging zur Tür der Apotheke. Auf der Informationstafel stand ganz oben: Wir sind nicht dienstbereit!
Der Tag ging wohl genauso weiter, wie er am Morgen begonnen hatte. Nun hatte ich aber genug vom ständigen Suchen. Schon wollte sich in mir Ärger breit machen, aber das wollte ich eigentlich gar nicht.
Ich dachte: Nein, ich lasse mir den Tag jetzt nicht mies machen. Ich möchte gut gelaunt seine!
Und so fing ich laut an zu lachen, so dass mich einige Leute kopfschüttelnd, manche anlächelnd wahrnahmen. Im Auto lachte ich grade so weiter. Und als ich zuhause wieder ankam, war das alles überhaupt nicht mehr schlimm, und es wurde noch ein schöner juckender Samstag.
Heidi-Magdalena Hirsch