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Humorglosse Nr. 16

Autoren: Barbara Rätting

Wie eng Lachen und Weinen beieinander liegen, und wie es gelingen kann, sich selbst aus einer depressiven Verstimmung durch Lachen zu befreien, habe ich gerade wieder einmal selbst erfahren.

Ich bin zu einem Kongress eingeladen, um mein neues Buch ‚Was mir immer wieder auf die Beine hilft‘ vorzustellen. Tausend Besucher haben sich angemeldet, darunter viele GesundheitsberaterInnen.

Wie immer nervös vor einer solchen Veranstaltung, die diesmal noch dazu als DVD aufgezeichnet wird, habe ich mich intensiv vorbereitet, gekürzt, wo der oft gehaltene Vortrag zu lang war, wochenlang über mein Outfit nachgedacht. Ein dunkelblauer Hosenanzug schien mir angemessen, denn immerhin beginne ich mit der Schilderung meines Burnouts als Folge der frustrierenden Arbeit als Abgeordnete im bayerischen Landtag. Andererseits soll mein Vortrag Mut machen, nach dem Motto, nie anfangen aufzuhören, und nie aufhören anzufangen. Ist blau für das Thema vielleicht zu kühl? Wäre rot besser? Diese Frage fällt mir am Vortag des Kongresses ein!

In der Nähe der Autobahn gibt es einen Outletladen. Also schnell hin. Eine Verkäuferin rät mir zu rot. Obwohl ich mich darin unbehaglich fühle, lasse ich mir einen engen (Das trägt man jetzt so, und wer, wenn nicht Sie, kann sich das leisten?) knallroten, noch dazu glänzenden Blazer einreden.

Zuhause angelangt kommt mir der enge, rote und glänzende Blazer regelrecht ordinär vor. Doch lieber den alten schwarzen anziehen, eine rote Rose am Revers? Hatte ich schon so oft! Und der graue? Zu indifferent. Also doch den blauen nehmen? Irgendwie kein Pfiff, zu kühl, passt nicht zu mir, findet meine Mitarbeiterin Manuela, rät zu dem roten. Stimmt, rot wirkt positiv. Mein Vortrag soll ja Mut machen!

Und das alles am Abend vorher!

Ich gerate in Panik. Maile einen Hilferuf an eine befreundete Moderatorin, deren Kleiderschrank von Hosenanzügen überquillt. Silke mailt prompt zurück: ‚Mach Dir keinen Stress, ich hänge Dir morgen früh um 8 auf dem Weg ins Studio einen Schwung Klamotten an die Tür, vielleicht ist etwas dabei.‘

Der Wecker brauchte gar nicht zu klingeln, denn natürlich kann ich kaum schlafen. Für 12:30 ist das Taxi bestellt. Aus dem Spiegel schaut mich ein unausgeschlafenes verzweifeltes Gesicht an, mit einem Pony, der über die Augen hängt. Nun tue ich, wovon ich jeder Frau ständig abrate – fange an, am Pony herumzuschnippeln. Schließlich ist er schief. Um 8 Uhr klingelt der Wecker, gleichzeitig klingelt es an der Tür – im strömenden Regen Silke mit einem Haufen Blazern über dem Arm – vielleicht ist was dabei. ‚Mensch Barbara, mach dich doch nicht verrückt – das schaffst du doch mit links!‘

Ich probiere Silkes Blazer. Der schwarze wirkt zu trist, der blaue zu kühl, die gemusterten machen mein Gesicht zu unruhig. Wieder Panik! Ich werde anrufen und einfach absagen – aber mit welcher Begründung? Ich hab nichts anzuziehen? Mein Pony ist schief?

Im Schrank entdecke ich einen wenig getragenen lila Blazer. Wie wäre es mit dem? Das Telefon klingelt. Vielleicht ist der Kongress geplatzt??? Mitnichten. Es ist die befreundete Friseurmeisterin unseres Dörfchens, sie habe das Gefühl, mir gehe es nicht gut, ich brauche Hilfe. Wie recht sie hat!

Jeans und Pulli über den Schlafanzug gezogen hechte ich mit dem lila und dem roten Blazer zum Friseurstübchen. Unmöglich der rote, viel zu knallig befindet Lioba sofort, ‚Du nimmst den lilanen.‘ Und bietet mir noch eine Kopfmassage an zur Beruhigung. Dafür ist aber keine Zeit.

Also der lilane. Lieber underdressed für diesen Anlass als overdressed, hatte schon die zuständige Frau vom Verlag empfohlen.

Ich schaffe es, den wegen seines verspäteten Frühstücks erbosten heftig miauenden Kater Sweetie zu füttern und einen abgekürzten Gassigang mit Hündin Nela zu machen und sinke mit schiefem Pony erschöpft aber pünktlich ins Taxi.

Schnitt.

Die Nacht wird kurz. Der Regen ist inzwischen in Schnee und Hagel übergegangen, der gegen irgendein Blech des Hotelfensters trommelt. Ohropax habe ich vergessen, ins Ohr gestecktes zusammen gedrehtes Toilettenpapier hilft kaum. Irgendwann schlafe ich ein.

Nächster Morgen. Im Kongresshaus unglaubliche Hochstimmung. Der Referent vor mir berichtet über die katastrophale Zunahme von Suchtkrankheiten, von Alkohol-, Nikotin-, Zucker-, Mager-, Medikamenten-, Sex- und sonstigen Süchtigen, ganz zu schweigen von den vielen Workoholics. Anschließend, hatte der Veranstalter vorher angekündigt, wird uns die Barbara Rätting mit ihren Mutmachertipps dann wieder auf die Beine bringen.

Der Vortrag über die süchtige Welt hat offensichtlich nicht nur mich, sondern das gesamte Publikum in eine Schockstarre versetzt. Die vorher so gute Stimmung im Saal ist auf dem Nullpunkt angelangt.

Die geballten Schreckensmeldungen über den Zustand der Menschheit haben mich dermaßen deprimiert, dass ich förmlich in mich zusammengesackt bin, mich fühle wie ausgeblutet, total energielos. Alles erscheint so hoffnungs- und aussichtslos. Wie soll ich mit meinen Hausfrauenweisheiten gegen diese Tristesse ankommen? Sagen, ich kann nicht?

Ich bitte den Veranstaltungsleiter um eine Pause, von 10 Minuten mindestens, bitte!!!

Jemand führt mich hinter die Bühne, gibt mir Wasser zu trinken, ich mache meine Atemübungen und bete! Bete um Hilfe! An wen?

Allmählich beruhigt sich meine aufgewühlte Seele, wie in Trance gehe ich auf die Bühne und höre mich statt der Eröffnungsworte, die ich mir vorgenommen hatte, ohne zu überlegen sagen:

‚Liebe Freundinnen und Freunde, der Vortrag eben hat mich so mitgenommen, dass ich am liebsten mit Euch allen nichts als weinen möchte. Ich werde es stattdessen mit Lachen versuchen. So, wie ich mich auch zuhause oft aus einer Depression herauskatapultiere. Vielleicht gelingt es.‘

Ich fange an, ein bisschen zu glucksen, stelle mir vor, wie Katerchen Sweetie sich darüber freut und mich mit markerschütterndem Schnurren anfeuert und schaffe es tatsächlich, nicht nur mich, sondern das gesamte Publikum aus der gedrückten Stimmung zu befreien.

Gelächter auch im Publikum und donnernder Applaus. Dann lief der Vortrag zwar völlig anders als geplant, aber so, dass ich mit Glückwünschen geradezu überschüttet wurde: ‚So etwas Authentisches, Herzerfrischendes hätte man noch nie erlebt und ich sei ja die Mutmacherin in Person, man wäre ganz beschwingt nach Hause gegangen.‘

Kann man sich ein schöneres Kompliment vorstellen?

Wenn Sie schon einmal Tränen gelacht haben, dann wissen Sie, wie eng Lachen und Weinen beieinander liegen, wie Lachen in Weinen übergehen kann und Weinen in Lachen, und wie sehr beides die Seele von Kümmerissen befreit.

Seien wir authentisch. Erlauben wir uns heftige Gefühle. Nur Mut!

Leben wir ein pralles Leben, auch um den Preis von Schmerzen.

Lache Bajazzo und weine Bajazzo!

Barbara Rätting

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