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Humorglosse Nr. 14

Autoren: Dr. Erwin Neuwirth

Alptraum Lachen

Ich schlafe seit einigen Tagen schlecht. Sehr schlecht. Schlecht schlafen könnte für einen einsamen Denker wie mich eigentlich eine Chance sein. Für jemanden, der beschließt, die gesammelten Gedanken hinzuschreiben, eine fast logische Chance. Außer man wacht schweißgebadet auf, weil man die Brücke zwischen Theorie und Praxis nicht findet. Genauso wenig jene zwischen Panik und Beschreibung. Das könnte ja schon wieder lustig sein. Aber was wirklich Lustiges fällt mir bei Gott nicht ein. Sicherlich könnte ich heimlich irgendwo etwas abschreiben. Nur in der Beziehung bin ich unverbesserlich. Lieber schreibe ich etwas, was keiner liest, als etwas, das schon jeder gelesen hat.

Die schöpferische Nacht liegt bei mir im Finstern. Nichts erhellt mich. Außer jene Geistesblitze, die nicht von mir sind. Dreimal hintereinander habe ich von einer Sauna geträumt. Jedes Mal von Männerrunden oder runden Männern, die einander Witze erzählen. Nie konnte ich lachen. Nicht einmal im Traum. Das traumatisiert. Einen Witz habe ich mir gemerkt:

Eine Frau hat immer Besuch von ihrem Liebhaber, während ihr Mann bei der Arbeit ist. Eines Tages versteckt sich der neunjährige Sohn im Schrank, um zu beobachten, was die beiden denn so machen. Auf einmal kommt der Ehemann überraschend nach Hause, und die Frau versteckt ihren Liebhaber im Schrank.

Der Sohn: Dunkel hier drinnen. Der Mann (flüstert): Stimmt. Der Sohn: Ich hab einen Fußball. Der Mann: Schön für Dich. Der Sohn: Willst Du den kaufen? Der Mann: Nee, vielen Dank! Der Sohn: Mein Vater ist draußen! Der Mann: OK, wie viel? Der Sohn: 250 Euro.

In den nächsten Wochen passiert es noch mal, dass der Sohn und der Liebhaber im gleichen Schrank enden.

Der Sohn: Dunkel hier drinnen. Der Mann (flüstert): Stimmt. Der Sohn: Ich hab Turnschuhe. Der Mann, in Erinnerung, gedanklich seufzend: Wie viel? Der Sohn: 500 Euro.

Nach ein paar Tagen sagt der Vater zum Sohn: Nimm deine Fußballsachen und lass uns eine Runde spielen.

Der Sohn: Geht nicht, hab ich alles verkauft! Der Vater: Für wie viel? Der Sohn: Für 750 Euro. Der Vater: Es ist unglaublich, wie Du Deine Freunde betrügst, das ist wesentlich mehr als die Sachen gekostet haben. Ich werde Dich zum Beichten in die Kirche bringen!

Der Vater bringt seinen Sohn in die Kirche, setzt ihn in den Beichtstuhl und schließt die Tür.

Der Sohn: Dunkel hier drinnen. Der Pfarrer: Hör auf mit der Scheiße!!!

Alle lachen, bis auf mich. Plötzlich schauen mich fünfzehn Augenpaare an. Mir wird heiß. Der Schweiß schießt mir auf die Stirn. Fünf Sekunden Pause und wieder schallendes Gelächter. Sie haben ihr Opfer. Es folgt der 2. Aufguss. Einer wedelt mit dem Handtuch. Kühle Luft. Aah. Schweißgebadet wache ich auf. Ich bin völlig abgedeckt.

Hast du Fieber, fragt mich meine Frau. Sie hat mir die Decke weggenommen. Weder Fieber, noch sonst was, höre ich mich sagen. Nicht lachen können tut weh. Ich sei gleich wieder eingeschlafen, behauptet meine Frau. Das stimmt nicht, behaupte ich.

Ich lag da und dachte nach. Über meinen Vater, der allen in der Familie das Lachen austrieb, mir besonders. Wenn wir Spaß miteinander hatten und mein Vater die Küche betrat, verstummte unser Lachen. Wir lachten meistens in der Küche. Unser Lachen verstummte automatisch. Meines war wie abgeschnürt. Ich habe damals das Lachen verlernt. Nein, nicht verlernt, es wurde mir gestohlen. Aus der Küche hinausgetragen und entsorgt.

In Küchen kann ich seit damals generell nicht mehr lachen, bin ein territorialer Heiterkeitsleidtragender.

Mit diesen Gedanken muss ich erneut eingeschlafen sein. Ich fand mich in einem Theater wieder. In einem Boulevardstück. Mir war die ganze 1. Szene schon unbehaglich. So ein Theaterstück ist eigentlich eine Klamotte. Raub der Sabinerinnen. Wer hat mich hierher gebracht? Freiwillig schaue ich mir so was nie an.

Es geht um ein Bühnenstück, welches ein Lehrer als Student geschrieben haben soll aus Langweile, nehme ich an.

Die Rolle des Theaterdirektor Emanuel Striese ist mit einem eitlen Komödianten besetzt, dass er sich bei jedem Applaus verbeugt. Augenzwinkernd kämpft er mit zahlreichen persönlichen Problemen und dem Ensemble. Er ist schwer verschuldet und will das Stück uraufführen, weil er es für billig hält und deshalb Erfolg verspricht.

Die reinste Schmiere. Nach jeder Pointe der Blick in den Zuschauerraum, mit der Augenfrage: War ich gut?. Die Hauptrolle ist der Theaterdirektor Striese. Er spielt auch gleichzeitig seine Frau, die Regie führt. Verstehen Sie das?

Diese Dreifachkombination ein Alptraum. Als Theaterdirektor sah er aus wie mein verstorbener Vater, seine Frau und Regisseurin, wie meine Frau. Eine Mischkulanz aus drei.

Ich saß in der 7. Reihe. Platz 12, das heißt, ich sah mich dort sitzen. Es war so unwirklich und doch so real. Die Samtsitze des Theaters waren spürbar echt. Rundherum war das Theater gut besucht. Nur meine Reihe war leer. Ich fühlte mich beobachtet. In solchen Situationen bin ich hilflos.

Jetzt. . ! Auf der Bühne umarmt sich ein Pärchen! Im Zuschauerraum schallendes Gelächter. Der Theaterdirektor sieht die beiden und ruft erschrocken: Was machen Sie denn da? Der junge Mann läuft auf den Direktor juchzend zu: Herr Direktor, ich bin zu glücklich. Sie liebt mich. Verstehen Sie mich denn? 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. Sie liebt mich. Lachen.

Bei der ungestümen Umarmung mit dem jungen Mann verliert jedoch der Theaterdirektor seinen Zahnersatz, den oberen Teil. Die vordere Zahnreihe. Der junge Mann sieht das und was macht er? Er kickt, peinlich berührt, die Prothese in den Orchestergraben. Das Publikum johlt, brüllt vor Lachen. Ich allerdings nicht. Ich bin sprachlos. Ich sehe in hohem Bogen die obere Zahnreihe des Direktors durch die Luft fliegen, auf den Boden fallen und von dort in den musikalischen Orchestergraben in Zeitlupe.

Ich springe vom Sitz auf, schnappe nach Luft, will mit den Händen seine Zähne auffangen. Stille, sekundenlange Stille. Das Theaterpublikum zeigt mit den Händen auf mich. Er lacht nicht, rufen sie, er lacht nicht. Oben auf der Bühne steht die Regisseurin und sagt: Ich verlange von Dir, dass Du sofort lachst, dabei grinst sie hämisch.

Von hinten legen sich zwei Hände auf meine Wange, um? Um meine Mundwinkeln noch oben zu ziehen. Ich schreie, es klingt wie ein erstickter Ton: Aufgewacht.

Du schnarchst, sagt meine Frau und nimmt ihre Hände von meinem Gesicht. Irgendwie hast du Atemstörungen oder du trinkst zu viel Rotwein. Ich bin völlig fertig. Ich gehe ins Wohnzimmer, höre ich mich sagen. Meine Frau sagt auch noch was. Aber… Was denn? Naja.

Drüben liege ich noch lange wach. Der Traum war greifbar nahe.

Wie habe ich meinen Vater gehasst, wegen seiner Aussage: Dir wird das Lachen noch vergehen. Ja, es stimmt. Mit dem Lachen habe ich Schwierigkeiten. Schon beim Einatmen. Ich bemerke häufig, dass ich beim Einatmen, vor dem Lachen, so stoßweise einatme, wie ein Erstickender. Beim Ausatmen klinge ich auch wie ein Erstickender. Ein Neurologe hat gemeint, ich hätte eine schwere Form des Upper-Airway-Resistance-Syndroms. Das müssen Sie erst einmal verdauen. Oberer Luft-Weg-Widerstand.

Zu Hause muss ich gleich nachgoogeln. Nicht direkt Schnarchen, es ist eine Art fremd reduziertes Einatmen. Das denke ich auch. Ich fühle mich manchmal wie von einer unsichtbaren Hand umschlungen. Vielleicht ist das mein Vater. Es könnte auch eine Verbitterungsstörung sein. Deswegen besuche ich auch meine Mutter nicht mehr. Also nicht wegen des Erstickens oder aber in gewisser Weise doch. Weil sie vor kurzem gemeint hatte, ich werde meinem Vater immer ähnlicher. Das stimmt nicht. Ich bin der vaterunähnlichste Sohn, den es gibt.

Tatsächlich hat mich der Einfluss meines Vaters erheblich geprägt. Ich habe eine erblich bedingte Lachanreizparadoxie. Während ich bei Komödien oder bei Witzen überhaupt nicht lachen kann, rutscht mir das Lachen in tragischen Situationen nur so heraus.

Und je mehr ich diese Art des Lachens unterdrücken will, umso stärker will es heraus, unhaltbar.

Ein Trauma. Dr. Erwin Neuwirth.

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