Therapeutisches Clownspiel für Menschen, die spielend neue Schritte wagen
Einfach Sein?!
Täglich betreten wir die Lebensbühne mit den unterschiedlichen Rollen, die wir je nach Situation spielen, z.B.
bei einer Einladung zu Freunden, im Gespräch mit Vorgesetzten und Kollegen oder auch in der Begegnung mit unserem Partner.
Und dabei wollen wir einiges von uns verbergen: Gefühle der Unsicherheit, Unterlegenheit, Wut, Eifersucht, Peinlichkeit, Angst, aber sogar auch der Freude, Selbstsicherheit und Stärke.
Wann sind wir authentisch? Wann überhaupt haben wir den Mut zum „Einfach Sein“, ohne uns und andere zu bewerten?
Der Clown braucht keinen Mut zum Sein. Er akzeptiert sich ohne Einschränkung, stellt sich niemals in Frage.
Er ist wie er ist und das bereitet ihm große Freude. Er kennt weder Verhaltensregeln noch Schuldgefühle: Während alle einem Vortrag lauschen, singt er begeistert sein Lieblingslied.
Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Leben im Hier und Jetzt, Sorgen über gestern, heute oder morgen sind ihm unbekannt. Sein So-Sein genießt er mit allen Facetten seiner Persönlichkeit. Der Clown ist frei von Bewertungs- und Vergleichszwängen, er muss sich nicht über andere stellen, macht sich selbst aber auch nicht klein.
Jedem Menschen ist dieses heilende Clownwesen inne. Oftmals jedoch ist der Zugang zum Licht als der ureigenen Sonne über die Jahre verschüttet worden.
Viele Patienten, die an meinen Kursen teilnehmen, empfinden schon seit langem keine echte Freude mehr, können nur selten herzlich (im Wortsinn!) lachen und haben wenig Kontakt zu ihrer innewohnenden Lebensenergie.
Spielerisch eine Verbindung zum unversehrten Ich wieder herzustellen, ist das zentrale Anliegen meiner Arbeit.
Clownspiel in der psychosomatischen Klinik
Im geschützten Theater-Spielraum können die bis zu 16 Patienten während der Kurszeit von 4-5 Stunden mit verschiedenen Verhaltensweisen experimentieren.
Beim Clownspiel entwickeln sie den Mut, Seiten von sich zu zeigen, die sie im Leben oft verstecken. Sie erlauben es sich, eingebildet, wütend, verlegen, albern, neugierig, begeistert, unbeholfen oder vergesslich zu sein.
Sie spielen damit, sich nicht an vorgeschriebene Regeln zu halten, und stellen fest, es macht ja sogar Spaß, Konventionen über Bord zu werfen! Sie erleben die stärkende Wirkung des Lachens, können ungezwungen Kontakt zu den anderen aufnehmen und dabei ihre kindlich-spielerischen Seiten wiederentdecken. Sie empfinden Freude und Energie, aus dem Körper heraus zu spielen und genießen es, sich ohne Erwartungen und Bewertungen im Spiel auszudrücken. Das Spiel mit dem eigenen Clownwesen ermöglicht es den Patienten in besonderer Weise, das „Einfach-Sein“ zu erleben. Viele Menschen haben Angst, die Kontrolle zu verlieren und ihre Gefühle zu zeigen. Im Clownspiel können sie ihren Gefühlen wieder begegnen, indem sie diese mit ihrem Körper und ihrer Mimik zum Ausdruck bringen.
Zwei Beispiele aus der Praxis:
Die „Clowns“ erhalten die Aufgabe, sich zur Musik zunächst frei im Raum zu bewegen und dabei ihren Clown kennen zu lernen. Nach und nach nehmen sie (nonverbal) Kontakt zu anderen Clowns auf und entscheiden sich schließlich für einen Partner, mit dem sie in den nächsten Minuten Blickkontakt halten, wo auch immer im Raum sie sich gerade befinden. Die Patienten experimentieren dabei mit verschiedenen Anteilen von sich, mal sind sie schüchtern und ängstlich, dann wieder mutig und kontaktfreudig. Sie zeigen dem Partner zum Beispiel eine wunderbare Entdeckung -die Taschen ihrer Hose lassen sich nach außen stülpen! -, woraus sich anschließend eine kleine gemeinsame Spielsequenz entwickelt.
Manchmal beantworten sie das Angebot des Gegenübers auch nicht, sondern ziehen sich für Momente in sich selbst zurück, bis sie wieder einem Impuls zur Kontaktaufnahme folgen. Bei diesen Improvisationen entstehen wunderschöne poetische und authentische Geschichten, die die Patienten erstaunen und berühren.
Ein weiteres Beispiel:
Eine Patientin bat mich einmal, eine andere Musik zu spielen, da ihr die laufende nicht gefiele.
Ich ermutigte sie, genau dieses Missfallen in der Figur ihrer Clownin zu zeigen, um erleben zu können, wie sie mit dieser Empfindung umgeht und welche Wirkung dies auf sie hat.
Die Patientin fand beim Tanzen die Lösung: Sie bzw. ihre Clownin umwickelte die Lautsprecherboxen mit Tächern und Decken. Die Energie der Ablehnung musste nun nicht blockierend im Körper stecken bleiben, sondern konnte sich im Spiel kreativ entfalten und dadurch wandeln. In der Bewegung des Körpers entstand eine weich-fließende Dynamik und im Kontakt mit den anderen Patienten ein neues Spiel. Ihre Gedankenketten „Wenn alle die Musik gut finden, dann ist sie vielleicht doch nicht so übel, nein sie gefällt mir wirklich nicht, na ja, ist ja auch nicht so wichtig, doch, ich trau mich jetzt, das zu sagen, obwohl…“ waren in dem Moment unterbrochen, als sie sich die Erlaubnis gab, diese Empfindung nicht weiter zu bewerten, sondern „einfach“ als Clownin darzustellen. (Wie schwierig ist jedoch das Einfach-Sein!) Im Nein zu moralischen Zwängen eine tiefe innere Freude wahrzunehmen, zuzulassen und zu zeigen, war für diese Patientin eine sehr beglückende, neue Erfahrung.
Besonders im therapeutischen Rahmen erhalten die als „negativ“ bewerteten Gefühle ihren Raum und somit auch im Clownspiel in der psychosomatischen Klinik. Wenn mein Clown – also ich selbst – im Moment keine Lust zur Bewegung verspürt, dann zeige ich genau das, selbst wenn die anderen begeistert tanzen. Ich setze mich hin, beschäftige mich vielleicht mit meinen Schuhen und winke ab und zu den Clowns zu. Ich erlebe es als äußerst wohltuend, den anderen dabei ihre Freude zugestehen ebenso wie mich selbst lassen zu können. Da ich nun nicht mehr unter dem Druck stehe, etwas tun zu müssen, das mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht entspricht, entsteht keine Aggression mir selbst bzw. den anderen gegenüber, die dieses vermeintlich von mir verlangen. Das wirkt sehr befreiend, weil in dieser Form des Nein eine Leichtigkeit mitschwingt wie sie sonst nur in einem stimmigen Ja erfahrbar ist. Das Nein des Clown ist niemals destruktiv, es immer ein Ja zu sich selbst und zu den anderen, wie alles beim Clown voller Seinsfreude, Leichtigkeit und Lebendigkeit ist. Die innere Freiheit des Clown wird durch seine absolute Präsenz und Authentizität im Spiel sichtbar. Lassen sich die Patienten auf ihre Authentizität ein, indem sie sich dem Spiel ihres Clown hingeben – und sei es auch nur für wenige Augenblicke -, dann sind sie tief im Innersten bewegt, ganz und gar mit sich identisch.
So paradox es klingt: Die kleinste Maske der Welt ermutigt die Patienten, sich unmaskiert zu zeigen. Einerseits ermöglicht die Figur des Clown aufgrund der Nase eine gewisse Distanz zu sich selbst, andererseits kann gerade dadurch der (körperorientierte) Zugang zu verdrängten, abgewehrten und abgewerteten Gefühlen wieder hergestellt werden.
Welch ein Geschenk ist es, unser eigenes Clownwesen zu ent-decken, indem wir es zum Leben erwecken!
Uta Wedemeyer