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Mut zur Improvisation

Autoren: Dr. Charlotte Tracht

Oder: Neue Tools für Berater

Schuld daran ist meine Mutter. Sie war es, die 1995 das Buch von Keith Johnstone einer DER Wegbereiter des Improvisationstheaters – geschenkt bekam. Sie war es auch, die dieses Buch 1997 endlich las, nachdem es zwei Jahre unberührt auf einem Tisch neben ihrem Bett gelegen hatte. Sie war es, die Keith Johnstone daraufhin sofort nach München holte und ein Seminar mit ihm organisierte. Und sie war es, die die ganze Familie – also auch mich – auf dieses Seminar schleppte. Seitdem bin ich süchtig, süchtig nach Impro und der Philosophie, die hinter dieser Theaterform steckt. Süchtig wie nach einer Droge. Eine Droge, die auf humorvolle Art und Weise mutig macht, so mutig, dass ich mich nicht nur seit Jahren auf die Bühne, sondern auch in die unterschiedlichsten Menschenansammlungen (Firmen, Schulen, etc.) traue und dort die Impro-Philosophie weitergebe.

Was ist Improviationstheater? Im Gegensatz zu einer normalen Theateraufführung sind beim Improvisationstheater keine Inhalte einstudiert. Im Zusammenspiel zwischen Publikum und Schauspielern entsteht auf der Bühne ein Potpourri aus improvisierten Geschichten – Geschichten, die es vorher noch nie gab und die es in dieser Form auch nie wieder auf einer Bühne geben wird.

Welche Prinzipien stecken hinter Impro? Gute Impro-Geschichten, d.h. gute Bühnen-Kommunikation, kann nur entstehen, wenn die Beteiligten die folgenden angstreduzierenden Punkte beachten:

1. Leben Sie die Lust am Scheitern:

Eine unserer größten Ängste ist die Angst davor, Fehler zu machen, v.a. in Situationen, in denen wir unter keinen Umständen versagen wollen (z.B. auf der Bühne, in Vorstellungsgesprächen, beim Halten einer Rede, in Gehaltsverhandlungen, beim Hauskauf oder auch bei der richtigen Partnerwahl). Da der Erfolgsdruck aber gerade in solchen Momenten extrem hoch ist, fahren wir genau dann den Karren mit großer Wahrscheinlichkeit an die Wand. Es sei denn, wir beherzigen die sog. Lust am Scheitern, d.h. wir sehen uns in der Lage, humorvoll mit unseren eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten umzugehen. Dann ist die Chance große, dass wir entspannt sind, weniger Fehler machen und wichtige Ereignisse im Leben mit Bravour meistern, NICHT nur einen Impro-Auftritt.

2. Spielen Sie mit Ihrem Status:

In Abwandlung von Watzlawicks berühmtem Satz Man kann nicht nicht kommunizieren, könnte man ergänzen Man kann nicht ohne Status kommunizieren. Denn sobald wir verbal oder nonverbal mit anderen Menschen in Beziehung treten, spielt, ob wir das wollen oder nicht, das Thema Status eine Rolle. Begegnen wir jemandem mit aufrechter Haltung oder leicht gebückt? Gibt uns ein anderer zur Begrüßung mit einem kräftigen oder leichten Händedruck die Hand? Schauen wir bei einem Gespräch jemandem in die Augen oder vermeiden wir jeglichen Blickkontakt? Spricht ein anderer laut oder leise mit uns? Wenn wir nicht in der Lage sind, uns aus einem bestimmten Status heraus zu bewegen, kriecht uns schnell die lähmende Angst den Nacken hinauf, sobald wir gezwungen werden, unseren bevorzugten Status zu verlassen. Aus dieser Angst-Sackgasse kommen wir nur heraus, wenn wir ein Gespür für Status entwickeln und lernen, mit verschiedenen Status-Ebenen zu spielen, NICHT nur auf der Bühne.

3. Bleiben Sie im Moment:

Eine weitere Angst, die uns immer wieder schüttelt, ist die Angst, die Kontrolle zu verlieren. In fast jeder Sekunde unseres Lebens befinden wir uns mental in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Ganz selten und nur, wenn wir uns bewußt darauf konzentrieren, sind wir sowohl körperlich als auch geistig in der Gegenwart und nehmen den jetzigen Augenblick tatsächlich wahr. Den Rest der Zeit sind wir damit beschäftigt, unseren Job und unser Privatleben zu planen und zu organisieren. Durch diese ewige Zeiten-Kontrolle kann es passieren, dass wir gelegentlich Dinge übersehen, die im Moment um uns herum geschehens, Dinge, die möglicherweise auch unsere Vergangenheit und Zukunft positiv beeinflussen könnten, NICHT nur im Rahmen einer Impro-Geschichte.

4. Inspirieren Sie andere:

Andere zu inspirieren, entspricht gewöhnlich nicht der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Wir lernen schon sehr früh, die Mitspieler in unserem Leben als Konkurrenten zu betrachten, die man nicht inspirieren und gut dastehen lassen, sondern lieber ausstechen sollte. Denn sonst – so unsere Angst – könnten die Mitstreiter uns übertrumpfen und erfolgreicher werden als wir selbst. Wir wiegen uns in der Illusion, dass die Spitze ein Stück näher rückt, wenn wir uns verhalten wie Schweine. Dass wir durch dieses geringe Wohlwollen zu einsamen und ungeliebten Schweinen werden, übersehen wir geflissentlich, NICHT nur als Rampensau auf der Theater-Bühne.

Wie können Berater Impro einsetzen? Nur wenn Impro-Spieler die fünf beschriebenen Punkte berücksichtigen, wird die Bühne zu einem sicheren Ort, an dem sich die Akteure angstfrei bewegen und mit Lust Theater spielen. Die Folge ist, dass die Schauspieler risikofreudiger werden, dass ihre Kommunikation untereinander auf der Bühne fließt und dass kreative Geschichten wie von selbst entstehen. Techniken aus dem Improvisationstheater eignen sich deshalb hervorragend, um die Kommunikationsfähigkeit von – egal welchen – Menschen(gruppen) zu verbessern. Die Art und Weise, wie Improtechniken greifen ist dabei unkonventionell, da Seminarteilnehmer zwar auch auf der rationalen Ebene, aber insbesondere emotional erreicht werden können: Sie erfahren anhand von Improübungen am eigenen Leib die Lust am Scheitern, verschiedene Status-Ebenen und wie es ist, im Moment zu bleiben und ihre Kommunikationspartner mit Wohlwollen zu inspirieren. Neben dem eigenen Erleben bekommen die Teilnehmer mit den Impro-Übungen effektive Tools an die Hand, die sie sofort selbst weitergeben können.

Wenn Sie – geschützter Leser – in der glücklichen Lage sind, vor nichts und niemandem Angst zu haben, dann vergessen Sie alles, was sie gerade gelesen haben. Verbrennen Sie den Arikel, schmeißen Sie ihn in den Müll, oder schenken Sie ihn jemandem, der nicht schon so mutig ist wie Sie selbst. Ansonsten: Lassen Sie sich von der Kunst der Improvisation verführen und freuen Sie sich auf überraschende Wirkungen!

Dr. Charlotte Tracht

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