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Humor und Provokation

Autoren: Christof T. Eschenröder

Humor und Provokation in der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie

Psychotherapeutische Praxis, Bremen

Dieser Text ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Artikels, der in der Zeitschrift für Rational-Emotive & Kognitive Verhaltenstherapie, 1997, 8, 53-60 erschien. Zusammenfassung: Ein humoristisch-provokativer Stil in der Psychotherapie kann dabei helfen, irrationale Denkmuster von Patienten wirkungsvoll in Frage zu stellen und wichtige therapeutische Botschaften zu vermitteln. Verschiedene kognitive Interventionen und verhaltensorientierte Übungen mit humoristischem Charakter, die im Rahmen der von Albert Ellis begründeten Rational-Emotiven Verhaltenstherapie (REVT) verwendet werden können, werden geschildert. Weiterhin werden sechs Thesen zur Bedeutung von Humor in kognitiv-behavioralen Therapien formuliert.

Aktiv-direktive Psychotherapie

Als ich vor 20 Jahren im Sommer 1976 den ersten europäischen Workshop von Albert Ellis in Nijmegen (Niederlande) besuchte, war ich erstaunt und fasziniert von seinem forschen therapeutischen Stil. Dort bemerkte ich zum ersten Mal, dass auch Humor in der Therapie eine wichtige Rolle spielen kann. Dies kannte ich weder von der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie noch von der Verhaltenstherapie. Die von Ellis begründete Rational-Emotive Verhaltenstherapie (REVT) (Ellis, 1997; Ellis & Hoellen, 1997; Informationen in deutscher Sprache im Internet: www.ret-revt.de) gehört zu den wichtigsten Ansätzen der Kognitiven Verhaltenstherapie (vgl. auch Scholz, 2001, S. 39-121). Dieter Schwartz (1998; 2002) hat Grundlagen und Methoden der REVT in zwei Ratgeberbüchern in einer für Laien gut verständlichen Form dargestellt. Ellis (1997, S. 237) plädiert für ein aktiv-direktives Vorgehen in der Therapie und er beschreibt, wie er Patienten deutlich die Meinung sagte, die in der Therapie wenig Engagement zeigten. Danach habe sich die Haltung der Patienten zur Therapie und zu sich selbst deutlich verändert. Ein solches konfrontatives Vorgehen ist in verschiedener Hinsicht problematisch, auch wenn es manchmal zu positiven Ergebnissen führt: Es setzt voraus, dass der Therapeut bzw. die Therapeutin fest davon überzeugt sind zu wissen, was für die hilfesuchende Person gut und richtig ist. Der Patient wird dadurch vor die Entscheidung gestellt, sich auf das therapeutische Angebot einzulassen oder die Therapie zu beenden.

Die Bedeutung des Humors in der Psychotherapie

Eleganter als eine drastische Konfrontation finde ich einen humorvoll-provokativen therapeutischen Stil, mit dem man wichtige therapeutische Botschaften oft sehr wirkungsvoll vermitteln kann. Ellis (1977) hat in dem Aufsatz „Fun as psychotherapy“, der im „Handbook of rational-emotive therapy“ (Ellis & Grieger, 1977) erschien, beschrieben, wie er humoristische Methoden in der Therapie einsetzt. Nach Ellis (1977, S 262-263) beruhen emotionale Störungen auf der Tendenz, Lebensereignisse allzu ernst zu nehmen, ihre Bedeutung zu übertreiben und zu „katastrophisieren“, wenn etwas nicht den eigenen Wünschen entspricht. Als ein Beispiel nennt er wissenschaftliche Tagungen, bei denen intelligente Männer und Frauen sich selbst zu ernst nehmen würden, die Bedeutung ihrer Vorträge überschätzten und katastrophisierende Gedanken über die Größe des Publikums und die Resonanz auf ihre Vorträge hätten.

Humoristische kognitive Methoden

Zu den Standardmethoden der RET gehört es, irrationale Einstellungen in einem sokratischen Dialog in Frage zu stellen oder modellhaft konstruktive Alternativen zu formulieren. Bei einem humoristisch provokativen Vorgehen treibt der Therapeut dagegen die Dinge als Gegenmittel zur neurotischen Übertreibung noch weiter ins Extrem, um auf dramatische Art die eingefahrenen Denkweisen von Patienten zu unterbrechen. Dafür möchte ich nun einige Beispiele geben: Wenn ein Mitglied einer Therapiegruppe sich wegen eines Fehlers selbst verdammt, betont Ellis: „Natürlich würde niemand in dieser Gruppe jemals so einen Fehler machen! Wir alle sollten Sie besser ein Leben lang boykottieren!“ Oder er geht in das andere Extrem und bezweifelt, ob ein so geringfügiges Fehlverhalten ausreichend ist, um weiterhin das Recht zu haben, Mitglied einer Gruppe von kompletten Versagern zu bleiben (Ellis, 1977, S. 265). Diese Interventionen sollen Patienten dabei helfen, sich mit ihren Fehlern und Schwächen zu akzeptieren. Um anti-perfektionistische Einstellungen zu propagieren, stimmt Ellis (1977, S. 266) den Patienten zu, die glauben, keine Schwächen haben zu dürfen, und er malt ihnen drastisch die Folgen eines fehlerhaften Verhaltens aus: „Und natürlich, wenn Sie schlecht tanzen, werden alle auf der Tanzfläche stehen bleiben und schallend lachen, sie werden nichts anderes tun, als die ganze Nacht an Sie denken, und sie werden sich immer an ihr komisches Tanzen erinnern.“ Auch bei der Überwindung von Prüfungsangst sind humoristische und paradoxe Methoden manchmal sehr wirksam (vgl. Eschenröder, 2002). Wenn sich Patienten durch den Wunsch nach absoluter Sicherheit in beruflichen oder privaten Angelegenheiten blockieren, macht ihnen Ellis (1977, S. 268) das folgende großzügige Angebot: „Gut, Sie haben heute wirklich Glück! Wir haben gerade ein schön gestaltetes Zertifikat gedruckt, das Ihnen garantiert, dass Sie erreichen, was Sie wollen. Fragen Sie unten im Büro danach und wir geben es Ihnen gerne kostenlos.“ Die Möglichkeit eines provokativen Vorgehens möchte ich noch an einem weiteren Fallbeispiel erläutern. Frau P. aus B. setzt sich beruflich und privat häufig unter Druck. Sie fühlt sich daher oft angespannt und kann auch Zeiten, in denen sie sich erholen könnte, nicht genießen. In der Therapiestunde berichtet sie, dass sie mit ihrem Mann und einem befreundeten Ehepaar vorhat, in Bad Segeberg ein Stück von Karl May anzusehen. Obwohl sie sich darauf freut, spürt sie auch hier einen Druck, denn sie glaubt, dass sie verpflichtet ist, für die Unterhaltung mit den Bekannten zu sorgen. Statt dies in Frage zu stellen, stimme ich ihr lebhaft zu. „Selbstverständlich sind Sie für das Unterhaltungsprogramm zuständig, wenn Ihr Mann fährt! Es ist Ihre Aufgabe, eine geistvoll-lockere Konversation in Gang zu bringen. Nehmen Sie sich heute Abend eine Karl-May-Biographie vor, gleichgültig wie müde sie sind, damit Sie morgen beim Picknick ein paar intelligente Bemerkungen über sein Leben und das Stück, das sie ansehen wollen, machen können.“ „Wenn Sie das so sagen, hört es sich ganz verrückt an“, meinte die Patientin zu meinen Vorschlägen. „Ja, aber das ist es doch, was Sie von sich verlangen“, erwiderte ich. Schließlich nahm sie sich vor, die Fahrt einfach auf sich zukommen zu lassen. In der nächsten Stunde berichtete sie, sie habe sich wegen Bad Segeberg nicht so einen Stress gemacht. Beim Anhören der Kassette von der Therapiesitzung war ihr aufgefallen, dass sie häufig so denkt, wie ich dies im Extrem dargestellt hatte.

Humoristische verhaltensorientierte Methoden

Zu den verhaltensorientierten Methoden der RET mit humoristischem Charakter gehören die „schamreduzierenden Mutproben“ (shame-attacking exercises) (vgl. Schwartz, 1998, S. 96-98). Sie sind vor allem für Personen mit sozialen Ängsten geeignet, die sich starr an konventionellen Normen orientieren und auf keinen Fall unangenehm auffallen wollen. Bei den Übungen werden absichtlich Verhaltensweisen ausgeführt, die die Person als peinlich, lächerlich oder ungewöhnlich empfindet, z. B.

  • mit erhobenen Händen durch eine belebte Fußgängerzone gehen;
  • um Geld betteln oder Geld verschenken;
  • in der Straßenbahn die Stationen laut ausrufen;
  • die Zeitung von gestern zum Sonderpreis anbieten;
  • sich in einer Drogerie über das Angebot an Präservativen beraten lassen.

Durch diese Übungen können Katastrophenerwartungen über die Reaktionen anderer Menschen überprüft und abgebaut werden. Wenn andere Menschen mit Ablehnung oder spöttischen Bemerkungen reagieren, ist dies eine gute Gelegenheit, den Umgang mit diesen Reaktionen zu trainieren. Der Verstoß gegen soziale Regeln löst zunächst oft starke Ängste aus; im Laufe der Übungen kann aber die Stimmung umkippen, wobei sich die Anspannung oft durch Lachen auflöst. Selbstverständlich hängt es vom sozialen Kontext ab, welche Verhaltensweisen als harmlose oder als gravierende Verstöße gegen die Regeln des sozialen Zusammenlebens betrachtet werden. Daher sollte ein Therapeut in der Regel nur solche Übungen vorschlagen, die er schon selbst durchgeführt hat oder durchzuführen bereit ist.

Rational Songs

Ich möchte nun noch eine weitere humoristische Methode erwähnen, die Ellis (1976, 1987) kreiert hat, die rational songs. Ellis hat zu populären Melodien eine Reihe von neuen Texten geschrieben, in denen verbreitete irrationale Einstellungen in ironischer Form auf die Schippe genommen werden. Vor allem in Gruppentherapien und Workshops können so rationale Botschaften in humoristischer Form vermittelt werden. Für Personen mit perfektionistischen Einstellungen ist der Song „Perfect Rationality“ besonders geeignet, der zu der Melodie von „Funiculi, Funicula“ gesungen wird: „Some think the world must have a right direction – And so do I, and so do I! Some think that with the slightest imperfection They can’t get by – and so do I! For I, I have to prove I’m superhuman, And better far than people are; To show I have miraculous acumen – And always rate among the Great! Perfect, perfect rationality Is, of course the only thing for me! How can I even think of being If I must live fallibly? Rationality must be a perfect thing to me!“ (Ellis, 1976)

Abschliessende Bemerkungen

Obwohl die RET in Bezug auf therapeutischen Humor einiges zu bieten hat, kann auch der Blick über den Zaun zu anderen Therapierichtungen, die mit humoristischen Methoden arbeiten, sehr inspirierend sein (vgl. Titze & Eschenröder, 1998). Vor allem möchte ich hier die Logotherapie von Viktor E. Frankl (1975) und die Provokative Therapie von Frank Farrelly (Farrelly & Brandsma, 1986; Höfner & Schachtner, 1995) erwähnen, in denen Humor eine zentrale Rolle spielt. Ich möchte zum Schluss sechs Thesen zur Bedeutung des Humors in kognitiv-behavioralen Ansätzen formulieren (vgl. auch Ellis, 1977, S. 269): 1. Vom Therapeuten ausgehender Humor kann die Atmosphäre in der Therapie positiv beeinflussen: Psychotherapie kann nicht nur als harte Arbeit angesehen werden, die mit Schmerz, Schweiß und Tränen verbunden ist; sie kann manchmal auch als ein Spiel betrachtet werden, das zu Schmunzeln, Lachen und heiterer Stimmung führt. 2. Auf der kognitiven Ebene kann eine humoristische Betrachtungsweise zur Veränderung der Bedeutung von Situationen und zu einer differenzierten Einschätzung von Problemen führen. 3. Die veränderte Sichtweise führt auf der emotionalen Ebene zu einer positiven Umstimmung. Durch die physiologische Wirkung des Lachens können zusätzlich vorhandene Spannungen abgebaut werden. 4. Die durch therapeutischen Humor veränderte Sichtweise und die Verminderung negativer Emotionen erleichtert es Patienten, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren. 5. Es heißt zwar, dass Lachen die beste Medizin ist. Aber auch diese Medizin kann bei falscher Indikation oder falscher Dosierung zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. 6. Der angemessene Einsatz von Humor in der Therapie ist auch für die Psychohygiene des Therapeuten und der Therapeutin gut und kann als eine vorbeugende Maßnahme gegen Burnout betrachtet werden.

Literatur

Ellis, A. (1976). A garland of rational songs. New York: Institute for Rational Living Ellis, A. (1977). Fun as psychotherapy. In: A. Ellis, & R. Grieger (Eds.) Handbook of rational-emotive therapy. (S. 261-270). New York: Springer Ellis, A. (1987). The use of rational humorous songs in psychotherapy. In: W. F. Fry & W. A. Salameh (Eds.) Handbook of humor and psychotherapy. (S. 265-285). Sarasota: Professional Ressource Exchange Ellis, A. (1997). Grundlagen und Methoden der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie. München: Pfeiffer Ellis, A. & Grieger, R. (Hg.) (1979). Praxis der rational-emotiven Therapie. München: Urban & Schwarzenberg Ellis, A. & Hoellen, B. (1997). Die Rational-Emotive Verhaltenstherapie Reflexionen und Neubestimmungen. München: Pfeiffer Eschenröder, C. T. (2002). Selbstsicher in die Prüüung. Wie man Prüfungsangst überwindet und sich effektiv auf Prüfungen vorbereitet. München: CIP-Medien Farrelly, F. & Brandsma, J. N. (1986). Provokative Therapie. Berlin: Springer Frankl, V. E. (1975). Theorie und Therapie der Neurosen. München: Reinhardt Häfner, E. & Schachtner, H. U. (1995). Das wäre doch gelacht! Humor und Provokation in der Therapie. Reinbek: Rowohlt Scholz, W. U. (2001). Weiterentwicklungen in der Kognitiven Verhaltenstherapie. Pfeiffer bei Klett-Cotta: Stuttgart Schwartz, D. (1998). Vernunft und Emotion. Die Ellis-Methode. Borgmann: Dortmund Schwartz, D. (2002). Gefühle verstehen und positiv verändern. Ein rational-emotives Lebenshilfebuch. München: CIP-Medien Titze, M. & Eschenröder, C. T. (1998). Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch

Adresse des Autors Dipl.-Psych. Christof T. Eschenröder Treseburger Str. 15 28205 Bremen

e-mail: ceschenroeder@t-online.de

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