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Klinikclowns

Autoren: Sabrina Görke

Klinikclowns

Wer kennt sie nicht, die Traurigkeit und das Leid in einem Krankenhaus? Besonders Kinder leiden unter der ernsten, unverständlichen und ungewohnten Umgebung. Durch eine Krankheit wurden sie aus ihrer gewohnten Welt herausgerissen und von ihren Freunden getrennt, daher ist es nicht verwunderlich, dass viele von ihnen Angst haben und sich eingeschüchtert in ihren weißen, trostlosen Zimmern verkriechen.

Doch seit 1985 gibt es ein Gegengewicht zum trostlosen Klinikalltag: die Klinikclowns.

Wie bitte? Clowns im Krankenhaus? Späße und Gelächter hier, wo der Ernst des Lebens regiert? Klamauk und Poesie im Reich von Tod und Schmerz? Bunte Gestalten mit zweifelhaften Manieren inmitten von hochseriösen Würdenträgern im gestärkten weißen Kittel? Das Quietschen einer Trompete in den schallgedämpften Wartarealen, in denen man kaum zu flüstern wagt?

Aber klar doch! Die Klinikclowns können die Kinder nicht heilen, doch sie bringen ihnen etwas mit, das oft wertvoller ist als manches Antibiotika: Humor.

Geschichte

Der geistige Vater der Humormedizin ist der Arzt Patch Adams, dessen Geschichte Hollywood schon verfilmt hat. Das große Anliegen von Patsch Adams ist, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern, indem der Heilungsprozess mit Humor angereichert wird. Er ist der Gründer des Gesundheit! Institute, eines Krankenhauses, in welchem der Humor der wichtiger Bestandteil der Behandlung ist. Patch Adams tritt oft als Clown auf, doch sieht man in ihm nicht den Erfinder der Klinikclowns, sondern eher den Entdecker des medizinischen Humors.

Die Geschichte der Klinikclowns begann etwas später, und zwar Mitte der 80er Jahre in New York. Michael Christensen, der Mitbegründer des New Yorker Stadtzirkusses Big Apple Circus, kam einer Einladung nach, aus Anlass eines Festes als Clown im Kinderkrankenhaus aufzutreten. Gemeinsam mit anderen Clowns aus seinem Zirkus erscheint er mit weißem Kittel und roter Clowns-Nase auf der Veranstaltung. Diese Vorstellung erzielte einen umwerfenden Erfolg und Christensen kam die Idee, kranke Kinder regelmäßig auf ihren Stationen als Clown-Doktor zu besuchen. Schon nach kurzer Zeit war das Projekt überall in den USA bekannt und die Nachfrage von anderen Krankenhäusern so gewaltig, dass Christensen die Clown Care Unit gründete. Mit diesem Projekt konnte das Clown-Doctoring professionell organisiert werden. Heute beschäftigt die Clown Care Unit über 90 Clowns.

Anfang der 90er Jahre trugen große Artikel in verschiedenen Zeitschriften dazu bei, dass die Idee auch auf den europäischen Kontinent überschwappte und dort viele Menschen erreichte, die dem großen Vorbild Michael Christensen nachahmten. Die erste deutsche Clownsspechstunde fand 1994 statt und wurde von Laura Fernandez, einer ehemaligen Kollegin Christensens, ins Leben gerufen. Mittlerweile existieren in Deutschland ungefähr 50 Projekte, Tendenz steigend.

Selbst Michael Christensen staunt über diese positive Entwicklung: Es ist etwas Größeres als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Arbeit in New York so viele Menschen dazu inspirieren würde, so vielen Menschen auf so viele Arten zu helfen.

Ein typischer Klinikclown-Besuch und seine Wirkung

Sie heißen Prof. Dr. Dr. Mehlwurm oder Frau Dr. Tolpatsch und wenn man es nicht besser wüsste, würde man denken, es handelt sich hier um ganz normale Clowns. Doch man täuscht sich, denn sie sind mehr als nur Spaßmacher, mehr als verkleidete Erwachsene. Dies wurde mir bei einem Besuch der Uniklink Göttingen bewusst. Mit dem Ziel, die Wirkung des Lachens auf kranke Kinder zu untersuchen, sah ich den Klinikclowns Kuddel Muddel und Tortellini bei ihrer Arbeit zu.

Als ich den Warteraum, den verabredeten Treffpunkt mit den Clowns, betrete, tut sich vor mir die typische Atmosphäre auf: Gedämpfte Stimmen, unruhige, ängstliche Kinder und nervöse Mütter, die der Untersuchung ihres Kindes skeptisch entgegen sehen. Doch dies ändert sich schlagartig, als sich die Mikrowelle (der Fahrstuhl) öffnet und zwei bunte Clowns mit einem großen, geheimnisvollen Wagen den Warteraum betreten.

Es ist faszinierend, zu sehen, wie sich die Gesichtsausdrücke der beiden Mädchen, die sich mit ihren Müttern im Raum befinden, ändern: Sie lächeln. Eines der beiden Kinder sieht die Mutter mit einem Ausdruck an, der zu sagen scheint: Pass auf, jetzt wird`s lustig!

Und so war es auch: Kuddel Muddel und Tortellini versuchen mit ihrem großen Wagen in die Mitte des Raumes zu gelangen, stoßen jedoch immer wieder gegen die Stühle und bleiben nach vielen gescheiterten Versuchen ratlos stehen und sehen aus wie begossene Pudel. Doch glücklicherweise sind ja die beiden Mädchen da, die unter lautem Lachen immer wieder Ratschläge geben und letztendlich die Sache selbst in die Hand nehmen. Sie befördern den Wagen ohne jegliche Probleme und voller Stolz in den Raum.

Aber damit noch lange nicht genug! Nun endlich in der Mitte des Raumes stehend, betrachten die beiden Spaßmacher die anwesenden Personen und stellen staunend fest, dass alle sitzen und entschließen sich, es nachzumachen. Doch anscheinend sieht das Sitzen einfacher aus, als es in Wirklichkeit ist. Kuddel Muddel und Tortellini holen sich wieder die beiden Mädchen zur Hilfe und lassen sich von ihnen den Vorgang des Sich-Hinsetzens genauestens erklären. Doch ständig machen sie etwas falsch und setzen sich z.B. auf die Knie und legen den Oberkörper über die Stuhllehne. Das laute Lachen der beiden Mädchen hallt im gesamten Raum wieder und zeigt, dass sie keinen Gedanken mehr an die bevorstehenden Arztbesuche verschwenden. Bald beschließt das kleine Mädchen mit den Zäpfen, diesen Vorgang, der ihr bis zum heutigen Tag immer so einfach erschien, langsam und zum Mitmachen vorzuführen. Es gelingt ihr tatsächlich so gut, dass es sogar die ungeschickten Clowns verstehen und nach einer Weile erschöpft auf ihren Stühlen sitzen. Zum wiederholten Male wieder hatten die beiden Mädchen ein Erfolgserlebnis, das sie etwas stärker, größer und selbstbewusster macht.

Dann wird es plötzlich ruhig. Niemand sagt etwas, alle warten gespannt, was Kuddel Muddel und Tortellini als Nächstes anstellen. Nach einer Weile fragt Kuddel Muddel: Und was macht man so in einem Warteraum? Da ruft das ältere der beiden Mädchen: Man hat Langeweile! Natürlich will Tortellini sofort wissen, ob Langeweile eine Krankheit sei und wird von den beiden Mädchen prompt ausgelacht. Erneut versuchen sie, den beiden Spaßmachern zu erklären, dass man Langeweile hat, wenn man nicht weiß, was man machen soll. Daraufhin sind die Clowns still, bis plötzlich Kuddel Muddel aufspringt, ein langes rotes Seil holt und das Mädchen mit den langen blonden Haaren bittet, ihm doch einmal zu zeigen, wie lang die Langeweile sei. Das Mädchen steht sofort lachend auf und beginnt, die Länge der Langeweile in einem Warteraum mit Hilfe des Seiles und eines Maßbandes in kg zu messen. Zum ersten Mal schaut sie dabei nicht ständig zu ihrer Mutter. Im Gegenteil, es scheint, als hätten sie und die beiden Clowns die triste Welt des Krankenhauses um sich herum völlig vergessen.

Doch die beiden neugierigen Clowns wollen noch viel mehr wissen. Zum Beispiel, wo im Körper die Langeweile sitzt. Diese Frage können die beiden Mädchen nicht beantworten, aber Kuddel Muddel und Tortellini wären keine Clowns, wären sie nicht einfallsreich. Also kramen sie aus ihrem großen Wagen ein Langeweile-Messgerät heraus, halten es an den Körper der Mädchen und erforschen das Körperteil mit der größten Langeweile.

Spätestens in diesem Moment war mir klar, dass die Arbeit der Klinikclowns viel zu sehr unterschätzt wird. Dieses glückliche Mädchen, welches vor einer halben Stunde noch ängstlich und eingeschächtert neben ihrer Mutter gesessen hat, ist der beste Beweis!

Dann müssen sich Kuddel Muddel und Tortellini verabschieden. Als kleines Dankeschön für das Vertreiben der Langeweile werden sie sogar bis zur Mikrowelle begleitet und auch nachdem sie in dieser verschwunden sind, lächeln die beiden Mädchen noch immer.

Doch die beiden Clowns haben noch lange keinen Feierabend. Für sie geht`s jetzt auf die nächste Station. Auch hier bringen sie sofort Freude in den tristen Raum. Auf dem Gesicht des Mädchens, welches sich hier mit ihren Eltern befindet, spiegelt sich zunächst Unsicherheit wider. Doch Kuddel Muddel und Tortellini machen ihr sofort klar, dass es gar keinen Grund gibt, sich vor ihnen zu fürchten. Schon nach ein paar Minuten haben die Beiden ihr volles Vertrauen und das Mädchen erzählt von ihrem größten Wunsch – einem Pferd. Das lassen sich die Medi-Clowns nicht zweimal sagen und schon sitzt Tortellini auf einem Schaukelpferd und lässt sich das Reiten beibringen. Dann kommt eine Schwester und ruft das Mädchen auf, doch bevor es den Raum verlässt, dreht es sich noch einmal um und lächelt dankbar.

Den Klinikclowns ist jedoch keine Verschnaufpause gegönnt, denn schon öffnet sich die Mikrowelle erneut und die 6-jährige Michelle kommt gemeinsam mit einer Krankenschwester herein. Sie hat sich extra von einer anderen Station herbringen lassen, um die Clowns sehen zu können.

Doch auch sie ist zunächst sehr zurückhaltend, setzt sich erst einmal hin und beobachtet das Treiben. Natürlich bemerken die beiden Klinikclowns sofort, dass Michelle zunächst erst einmal nur zuschauen möchte und tun ihr den Gefallen.

Doch auf einmal hört man ein Wiehern aus dem Wagen und Tortellini ruft erfreut: Oh, ein Hahn! Wie schön! Sofort lächelt Michelle und erklärt noch ein wenig zurückhaltend, dass es sich hier um ein Pferd handelt. Augenblicklich sind die drei in ein Gespräch vertieft und Michelle scheint nicht einmal zu bemerken, dass die Krankenschwester telefonieren geht.

Zum Schluss schießen Kuddel Muddel und Tortellini ein imaginäres Foto als Andenken an ihren Besuch und verabschieden sich dann von einer lachenden Michelle.

Die beiden Klinikclowns haben jedes der Kinder innerhalb von Minuten in ihren Bann gezogen. Sie wussten ganz genau, wie sie auf die Kinder zugehen müssen und wann es vielleicht doch etwas besser ist, sich zunächst zurückzuhalten. Mit Hilfe ihres großen Einfühlungsvermögens und ihres Könnens haben sie aus nervösen, unruhig zappelnden, kranken, kleinen Patienten lauthals lachende, fröhlich umherhüpfende Kinder gemacht, die zwar noch immer krank waren, doch diese Nebensächlichkeit für einen Moment völlig vergessen haben.

Konzept und Ziele

Während meines Besuches der Klinikclowns überwältigten mich schon nach kurzer Zeit die Auswirkungen dieses bunten Treibens der Clowns.

Schnell wurde mir klar, dass ihr Geheimrezept eine Mischung des ausgelassenen Lachens mit einer großen Portion Sensibilität ist. Jedes Kind bekommt sein eigenes improvisiertes Programm, in dem die Zutaten dieses Rezeptes ausgeglichen vorhanden sein müssen. Es ist ein Trugschluss, dass während der Clowns-Besuche durchgehend gelacht wird. Ebenso wichtig ist das individuelle Eingehen auf den kleinen Patienten. Vor jedem Besuch wird zunächst seine physische und psychische Verfassung bei den Schwestern und Ärzten erfragt. Dieses Wissen, welches der Schweigepflicht unterliegt, ermöglicht ein effektives Arbeiten mit den Kindern.

Ebenso legt man sehr viel Wert auf das freiwillige Lachen der Patienten. Ein Medi-Clown betritt niemals ein Zimmer ohne vorher angeklopft und um Einlass gebeten zu haben. Sollte ein Kind strikt gegen einen Besuch der Spaßmacher sein, wird dieser Wunsch natürlich akzeptiert. Das Ziel dieses Projektes ist schließlich, die Kinder zum Lachen zu bringen und nicht, sich zu verkrampfen oder aufzuregen.

Ebenfalls sollen während der Besuche die spielerische Seite des Kindes gefördert und seine Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Dies wird erreicht, indem die Kinder stets in die Späße der Clowns einbezogen werden und sich ihrer gesunden Seite angenommen wird, d.h. im Gegensatz zu den Ärzten, gibt es bei den Clowns auch andere Gesprächsthemen als die Krankheit. Diese Strategie wurde auch bei Kuddel Muddel und Tortellini deutlich. Sie ließen das Thema Krankheit bewusst außen vor und kümmerten sich u.a. um die Träume und Wünsche der Patienten. Somit wird den Kindern das Kind-Sein im Krankenhaus wieder ermöglicht. Ein weiteres Ziel des Mediclown-Projektes ist das Stärken des Lebensmutes und Selbstbewusstseins der kleinen Patienten. Eine Realisierung dieses Vorhabens wird u.a. durch das ständige Scheitern des Clowns erreicht (siehe Versuch Kuddel Muddels und Tortellinis in den Raum zu gelangen). Das Kind sieht diesen tollpatschigen, trotteligen Erwachsenen, der immer wieder versagt und doch sein Lächeln auf dem Gesicht und den Optimismus nicht verliert. Diese Situation, in der ein Erwachsener die Hilfe eines Kindes benötigt ist etwas Besonderes für den kleinen Patienten, lässt ihn stärker werden, zeigt, dass das Scheitern zum Leben gehört und fordert ihn auf, ebenfalls immer wieder aufzustehen und sich nicht unterkriegen zulassen.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, dem kranken Kind in dieser schweren Zeit ein Freund zu sein. Oft versuchen Ärzte und Eltern das Kind mit Hilfe des sogenannten aufgesetzten Zweckoptimismus zu schonen, indem sie ihm immer wieder vormachen, dass die Krankheit bald überstanden sei und es unbewusst mit seinen Fragen und Ängsten völlig allein lassen. Die Clown-Doktoren dagegen, haben immer ein offenes Ohr und sprechen über Dinge, die für die meisten Erwachsenen ein großes Tabu sind. Somit wird der Clown zum Verbündeten des Kindes und zusammen können sie spielen, lachen und wenn hilfreich- auch weinen.

Der Mensch hinter der Schminke

Hinter der roten Nase und der Schminke eines Klinikclowns befindet sich ein ganz normaler Mensch. Erst nachdem die Nase aufgesetzt wurde, wird aus diesem der beste und lustigste Freund der kranken Kinder.

Doch nicht nur die Verkleidung, sondern auch eine professionelle Ausbildung kennzeichnet einen Klinikclown. Nach einem eindringlichen Gespräch über die Motive der sich bei einem Klinikclown-Verein bewerbenden Person, wird ihr die Gelegenheit gegeben, für einige Tage den Clown-Doktoren bei ihren Einsätzen zuzusehen und während dieser Zeit Talent zur Kreativität und Improvisation, Einfühlungsvermögen, Spielfreude sowie seelisches Gleichgewicht und Stabilität unter Beweis zu stellen.

Sollte der Bewerber künstlerische Erfahrungen nachgewiesen haben, sich in einem guten gesundheitlichen Zustand befinden und gezeigt haben, dass er sich für diese Tütigkeit eignet, findet ein halbjährliches Trainingsprogramm statt. Inhalte der Ausbildung zum Mediclown sind z.B. Schauspielunterricht, das Erlernen von Zauberkunststücken und das Erzählen von Geschichten aus dem Stegreif. Ebenso erführt man, worauf im Krankenhaus besonders geachtet muss und wie man Kinder gezielt zum Lachen bringt.

Jedoch kaum einer der Klinikclowns arbeitet ausschließlich im Krankenhaus. Die psychische Belastung wäre viel zu groß. Die meisten Mediclowns haben außerdem noch einen Brotberuf . Diese Berufe können von künstlerischer Natur sein, jedoch gibt es auch Klinikclowns, die in ihrem normalen Leben als Bankkaufmänner, Lehrer, Anwälte oder sogar Pfarrer tütig sind.

Literaturhinweise:

Was ich mir wünsche ist ein Clown (von Anja Doehring und Ulrich Renz, Weinheim)
Die heilende Kraft des Lachens (von Michael Titze, München)
Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen (von Michael Titze, Christof T. Eschenröder, Frankfurt)
Länder des Lachens (von Heiner Uber, Papu Pr. Mondhe, München)

Sabrina Görke

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