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Humor trotz Schmerzen

Diese Überschrift mag auf den ersten Blick für Menschen, die an Schmerzen leiden ans Unmögliche grenzen oder noch schlimmer: Betroffene fühlen sich nicht ernst genommen. Menschen, die mit Schmerzen konfrontiert sind, ernst zu nehmen, das ist mein vorrangiges Anliegen. Denn gerade das nicht ernst genommen werden, erhöht das Empfinden körperlicher Schmerzen durch seelische Verletzungen. Das Zusammentreffen von körperlichen „Hautnah-Erlebnissen“ und seelischen „Herzfern-Erfahrungen“ ist in der Begegnung mit der technischen Medizin nicht zu verhindern.

Mit dem Humor – der trotz Schmerzen möglich ist – verbinde ich jene Heiterkeit, welche die Wirklichkeit erträgt. Ich meine jene Gelassenheit, die mich Wachsein lässt am Rand aller Schmerzen und Abgründe. In der Fähigkeit lächeln, schmunzeln oder eben lachen zu können, wird die Bedrohung verringert, der viele Patientinnen und Patienten ausgesetzt sind.

Dass Humor trotz Schmerzen möglich ist, das habe ich selbst ausprobiert und als hilfreich erlebt. Wesentlich ist – wie bei den dringend notwendigen Schmerzmitteln – die Dosierung. Bei der Dosierung der Schmerzmittel hilft das Stufenschema der WHO. Neben einer großen Auswahl an „normalen Schmerzmitteln“ gibt es schwache und starke Opiate. Bei der Dosierung des Humors könnte ein ähnliches Stufenschema hilfreich sein. Die Grundstufe bildet der „Norm“ Humor. Das ist jener, der allen erlaubt ist und für den ist auch kein Suchtgiftrezept erforderlich. Genauso wie bei den Medikamenten. Für normale Schmerzmittel braucht es kein Rezept. Als den „Norm“ Humor, möchte ich jenen Humor bezeichnen, welcher der Norm entspricht. Unter Norm verstehen viele, dass sich Krankheit und Heiterkeit ausschließen, denn wer krank ist, hat nichts zu lachen. Die Erkenntnis, dass Krankheit eine ernste Sache ist, schließt eine heitere Gelassenheit nicht aus. Was schwer ist, muss nicht schwer genommen werden. Bei Besuchen am Krankenbett wäre ich manchmal froh gewesen, wenn die Besucher nicht schon mit vorauseilender Betroffenheit ins Zimmer gekommen wären. Also die Grundstufe „Norm“ Humor auch für Besucher nicht nur für Patienten.

Als die „normalen“ Schmerzmittel nicht mehr ausreichend waren und obendrein mein Magen rebellierte, verschrieb mein Arzt meinem Körper pharmazeutische Opiate.

Für meinen Geist verschrieb ich mir humorvolle Opiate. Wie schauen die aus? Ich habe einen Schatz von Büchern und Filmen, die Heiterkeit verbreiten: Karl Valentin, Heinz Erhardt, Erich Kästner, Christine Nüstlinger und Eugen Roth. Dazu kommen jede Menge Cartoons von Renate Alf, Peter Gaymann, Ulli Stein und viele andere. Obwohl sich die Schmerzen durch die Opiate in Grenzen hielten, inszenierten meine Gedanken eher eine Tragödie als eine Komödie. Das Lesen der heiteren Texte und das Anschauen der Filme und der lustigen Zeichnungen brachte mich in Distanz zu meinen Gedanken.

Also nach dem „Norm“ Humor kommt der „Profi“ Humor. Ich nenne ihn deshalb so, weil jene Schriftsteller und Zeichner, die sich damit auseinander gesetzt haben, professionellen Umgang mit dem Humor bewiesen haben.

Bei intensiven Schmerzen kann passieren, dass es die starken Opiate der Pharmazie braucht. Ich habe das auch ausprobiert. Ich war weder geistig völlig daneben, noch bin ich abhängig geworden.

Das stärkste Humor-Opiat, das ich kenne lautet: sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Nur wie soll das gehen? Wenn mich körperliche Schmerzen so gefangen nehmen, dass mich sonst nichts mehr interessiert! Wenn sich alles um mich dreht, weil Anfang und Ende meiner Gedanken von den Schmerzen bestimmt werden und jedes Ablenkungsmanöver nichts bringt, soll Humor helfen?

Wie ist nun „Humor trotz Schmerzen“ konkret zu verstehen. Für mich ist Humor eng mit der inneren Einstellung zum Leben verknüpft. Hier möchte ich noch einmal eindringlich darauf hinweisen, dass heitere Gelassenheit allein zu wenig ist, um starke Schmerzen wirkungsvoll zu bekämpfen. Die häufig praktizierten Rat-„Schläge“ von außen, dass es „bald besser“ wird, helfen absolut nicht. Im Gegenteil! Die gutgemeinten Vereinfachungen kann ich nur glauben, wenn ich mich NICHT ernst nehme!

„Dem Leiden unmittelbar eine bestimmte Bedeutung zuzumessen, als „Schuld“ oder als einsehbares „Opfer“ für ein „höheres Gut“, hieße vorweg sein Wesen mit einem Schleier zu versehen.“ 1

Diesen Gedanken von Rolf Kühn möchte ich für mich so übersetzen: für mich ist wesentlich, dass Unglück und Leid keine Strafe für Schuld sind. Genauso wenig ist Leid ein Opfer für ein besseres Leben im Jenseits. „Heldentum ist ein Ausnahmezustand und Produkt einer Zwangslage.“2 Körperliche Schmerzen sind so etwas wie eine Zwangslage. Bereits das leiseste Zahnweh macht die Welt draußen uninteressant. Das bedeutet: ich bin nicht mehr frei, ich bin in einer Zwangslage. Die Frage nach dem Warum führt allemal in den Irrgarten der Verzweiflung, weil es keine menschenwürdige Begründung gibt.

Das große Thema worauf mich Schmerzen hinweisen wollen, ist mir vertraut. Um in einer guten Weise darüber nachzudenken, ist hier nicht der richtige Ort. Hier geht es um den Humor.

Immanuel Kant hat schon im achtzehnten Jahrhundert erkannt, dass der Mensch gegenüber den Widrigkeiten des Lebens drei Dinge zum Schutz hat: die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen.3

Die Hoffnung ist ein wesentlicher Schutz, den ich im Falle der Erkrankung brauche. Die gute Hoffnung ist mit dem Realismus verwandt. Der Realismus ist auch für den Humor notwendig. Er hat einen scharfen Blick für Schwächen und Unzulänglichkeiten des Menschen und verzichtet auf Idealvorstellungen. So versteht man leichter, dass man die Hoffnung nicht mit der Illusion verwechseln sollte. Illusionen sind billiger Trost, wenn es einem schlecht geht und man spürt sehr schnell, dass sie nicht wirken.

Wie wichtig für mich der Schlaf ist, habe ich erst erfahren, als mir die Schmerzen den Schlaf raubten. Schlafmittel mögen über einige Zeit helfen. Doch an den natürlichen Schlaf, der mich durch meine Träume behütet und bestärkt, kommen sie nicht heran.

Wie wichtig ist nun das Lachen?

„Wir spüren unverkennbar, wie ein herzliches Gelächter uns befreien, ein tiefes Schluchzen uns erleichtern, ein Zornausbruch uns erlösen kann.“ 4

Das herzliche Gelächter – die Betonung liegt auf herzlich und hat nichts mit Zynismus zu tun – ist das schönste Mitbringsel ans Krankenbett. Theatralisch geflüsterte Worte: „Wie geht s dir denn?“ die aufgrund der Tonlage die nahende Tragödie erahnen lassen, sind die schaurigste Art des Mitleids, das ich erlebt habe. Nebenbei nähren Äußerungen solcherart meistens die Zweifel des Kranken und den Verdacht, ob etwa der zufällige Besucher mehr weiß als man selbst?

Da trugen die Bemerkungen, dass ich froh sein soll, dass ich bei dieser Affenhitze – ich lag im August im Krankenhaus – nicht arbeiten muss, wesentlich zur Auflockerung der Atmosphäre im Krankenzimmer bei.

Der gute Humor macht sich nicht über die Menschen lustig, sondern über die Art und Weise wie die Norm gepflegt wird. Wenn ich krank bin, entspreche ich ohnehin nicht mehr der Norm. Vor allem nicht in unserer Spaßgesellschaft, in der fit und forever young der Norm entspricht. Es gibt nicht nur unter den PatientInnen, sondern auch unter den Ärzten Fanatiker, die Normpflege anstelle Patientenpflege bevorzugen. Wie ich so eine Normpflege erlebt habe:

Mir wird der Besuch eines Neurologen angekündigt. Er soll in einer halben Stunde kommen und ich möge doch im Zimmer bleiben. Der Professor kommt nach zwei Stunden. Stürzt in mein Zimmer, zieht seinen weißen Mantel aus. Ich frage mich warum? Ob er möchte, dass ich seinen Luxuskörper sehe und bewundere? Übrigens seinen Oberkörper beschützt jetzt ein Krokodil. Doch so prominent, dass er für Lacoste Werbung macht, ist er nicht.

Er meint, ich soll mich ausziehen. Ich vermute, er hat nicht bemerkt, dass ich nur ein Nachthemd anhabe. Ich biete ihm die Chance mich in Unterhose zu sehen – ist ihm nicht recht. Von vorne zumindest – von hinten schon. Er muss beurteilen, wie sich meine Wirbelsäule in Bewegung aufführt. „Linkslastig“, höre ich hinter mir murmeln. Ist mir lieber als rechts. Er lässt mich im Bett herum turnen. Für den Test, ob meine Bandscheiben geschädigt sind, habe ich im letzten Jahr Abonnements verteilt. Sie sind auch dieses Mal nicht geschädigt. Aufgrund seiner schulmedizinischen Regeln reichen meine Schmerzen für eine Operation nicht aus. Er sagt mir, dass ich froh sein soll, dass ich in meinem Alter so beweglich bin. Ich sage ihm nicht, dass der OP-Termin fixiert ist.5

Die Untersuchung war notwendig, weil „es der Norm entspricht“, dass vor der Operation noch einmal ein Neurologe zu Rate gezogen wird. Der Termin steht fest, meine Angst auch. Um nicht den letzten Rest an Vertrauen in meinen Chirurgen zu verlieren, war die humorvolle Belustigung des Schreibens für mich die einzige Chance dem Mißtrauen nicht zuviel Raum zu geben. Zum Reden war ja niemand da.

Zum Schluss möchte ich noch auf Konrad Lorenz verweisen. Für ihn war Lachen ursprünglich Ausdruck jener Erleichterung, die entsteht, wenn eine äußere Gefahr abgewendet worden ist. Im allgemeinen läuft das „normale“ Denken (gesunder Menschenverstand) innerhalb eines in sich logisch konsistenten Rahmen ab. Eben diesen Bezugsrahmen „sprengt“ der Humor, indem er konsequent verblüffend, einen anderen Rahmen einbezieht.“6

Ich wünsche allen, die sich die Mühe gemacht haben diese Zeilen zu lesen, viel Mut den eigenen Humor kennenzulernen und ihn auszuprobieren. Es lohnt sich! Sowie das Leben, das uns geschenkt ist, sich lohnt.

1 Rolf Kühn, Sinn – Sein – Sollen, Cuxhaven, Dartford, 1995
2 Theodor Fontane, in: Knaurs großer Zitatenschatz
3 Zitate und Aussprüche, Duden,
4 Max Reinhardt, Rede über einen Schauspieler in: Bildnis eines Theatermannes von Heinz Herald,
– Rowohlt
e Patsch, Tagebuchaufzeichnungen: Danke, ich atme selber, Mehr Info auf: www.ingepatsch.at
6 Michael Titze, Therapeutischer Humor, Frankfurt 1998

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