Humor ist erspartes Mitleid – oder: Magnificat anima mea …
Die Frühjahrstagung 2001 der Katholischen Krankenhausseelsorger wandte sich der Heilkraft des Humors zu, und das in Heiligkreuztal, im fasnetseligen Oberland! Wer allerdings meinte, dass wir zusammenkamen, um uns fünf Tage lang gegenseitig ausschließlich mit seichten Pfarrerswitzen zu unterhalten, der sollte sich täuschen.
Als Referenten begleiteten uns Elke-Maria Riedmann (ausgebildet bei Lecoq in Paris, jetzt therapeutische Clownin in Vorarlberg) und Dr. Michael Titze (Tuttlingen), psychologischer Psychotherapeut und Autor, Vorsitzender von HumorCare Deutschland, durch die Tage.
Zur Einstimmung inszenierte Elke-Maria mit mir einen Sketch, der bereits einen Wink in die entscheidende Richtung gab: Humor wirkt dann therapeutisch, wenn er dem Elend unbefangen und unverfroren ins Auge blickt. Humor wirkt dann therapeutisch, wenn er Inhalte thematisiert, die einem das alltägliche, brave und nette Lächeln mitunter gefrieren lassen. Die Szene mit der Putzfrau, die mit dem bedürftigen regressiv-renitenten Pflegefall über die Chancen des Lachens zu philosophieren versucht, eröffnete die Tagung.
Michael Titze begann sein Referat über die Humorentstehung mit einer etwas bizarr anmutenden Demonstration: Mit beiden Ellbogen auf die Rückenlehne seines Stuhles gestützt, den Brustkorb überdehnt, versicherte er lächelnd und wortreich, wie hilfreich-befreiend die aktuelle Forschung der Gelotologie (= Lehre vom Lachen) sei. Die Inkongruenz, die Unstimmigkeit war offenkundig: Da signalisiert einer mit Worten das exakte Gegenteil dessen, was sein Körper mit seiner gestischen und mimischen Sprache sagt! Das wirkt unbedingt komisch. Und schon waren wir mittendrin in der Thematik.
Humor ist der Gegenspieler von Angst und Pein: letztlich von der Angst, lächerlich zu erscheinen und von den Mitmenschen verachtet zu werden.
Michael Titze steckte ein abgebrochenes Streichholz zwischen seine obere und untere Schneidezahnreihe und versuchte so diesen Sachverhalt zu erklären. Indem er sich den Inhalt einer Brausepackung in den Mund kippte, führte er in das Kapitel der Scham-Angst ein. Alles, was dabei heraus kam, war Schaum. Wie kindisch!?
Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder … (vgl. Lk 18): Dieses Jesuswort kam mir in Heiligkreuztal immer wieder in den Sinn. Friedrich Nietzsche beschrieb angesichts seiner Eindrücke in der Eliteschule Schulpforta in Naumburg/S. sein Ideal: Kind sollst Du werden, ohne Scham. Wie herrlich unbeschwert ist das Lächeln eines Kindes, In dem sich das Lächeln des Erwachsenen widerspiegelt: Gut bist Du und schön. Wie Du bist. Ohne Bedingung. Wir alle kennen dieses Glück. Doch dann kam die Erziehung : zunächst zur Scham, dann zu krankmachenden Schuldgefühlen.
Scham und Schuldgefühle entwickeln sich am Ernst des Lebens , an dem Prinzip. das immer mehr Desselben fordert. In unserer Welt genügt es nicht, gut zu sein. Besser-Sein ist die Devise. Dies erzeugt einen unmenschlichen Anpassungsdruck an Werte, die unerreichbar sind. Heute gilt: Wer nicht in die Normen unserer Marktwirtschaft passt, der soll sich was schämen. Alle die müssen sich schämen, die nicht dem Ideal der Werbung entsprechen: Schön, jung, gesund und (erfolg)reich. Wer heute von schwerer Krankheit getroffen wird, fliegt raus aus dieser Welt: Die Kraft der Jugend schwindet, die Schönheit mit dem Alter, die Gesundheit mit der Krankheit, der Erfolg und die materielle Sicherheit mit den Krankheitstagen im Betrieb.
Die Versagensangst ist offenkundig. Unsere Patienten sind von dieser Angst meist wie gelähmt. Der Traum von der (irdischen) Vollkommenheit, der ewigen Fitness ist für sie ein für alle Mal ausgeträumt. Was kann ihnen helfen?
Sigmund Freud hat 1927 in seinen Abhandlungen über den Humor geschrieben: Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.
Michael Titze führte uns an die Elemente der Humorentstehung heran: Die erste Stufe ist die a-logische Originalität. Sie wirkt verblüffend (mit der Non-Sequitur – oder der Judo-Methode). Diese Originalität bezieht sich auf lustvolle Affekte, die kulturell zensiert sind: Wut, Sex und organische Ausscheidungen (Paul Gindele erwies sich hier als einfühlsamer Mentor). Unträglichen Ausdruck findet der Humor im Nonverbalen: in der Mimik, in der Gestik und im Tonfall.
Die Welt des Humors lebt vom Gegenprinzip weniger Desselben. Das kennen wir nur zu gut aus der Welt unserer Patienten: Sie sagen: Mir geht s doch gut. Es könnte mir (angesichts des Leids der anderen) doch noch viel schlechter gehen. Oder: (Wenn schon zu Haus in meiner Garage kein Porsche steht) habe ich es wenigstens heute geschafft, aufs Klo zu gehen. In der Krankheit bekommt oft das alltäglich gering Geachtete große Bedeutung. Und Themen, die die Welt bewegen, verschwinden aus dem Bewusstsein angesichts existentieller Bedürftigkeit. Ganz unvermittelt wird das Unmittelbare zum Lebensziel bei allem Risiko der lächerlichen Unvollkommenheit. Bedenkenloses. spontanes Spiel (auch mit dem Tod-Ernsten) schafft sich Raum, wenn die Beziehung von einer tiefen Wertschätzung getragen ist. (Zu einem Patient. der aufgrund der Erstickungsgefahr eine Atemmaske trägt: Hat eines Ihrer Enkelkinder bald Geburtstag? Das sieht ja aus, als übten Sie Luftballon aufblasen!)
Michael Titze verabschiedete sich mit einem Zitat von Jean Paul: Der Humor ist das umgekehrt Erhabene. Es gibt für ihn keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt. Er hebt keine einzelne Narrheit heraus, sondern erniedrigt das Grosse, um ihm das Kleine, und erhöht das Kleine, um ihm das Grosse an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts. Wer sich erhöht wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden, (Lk 14). Diese paradoxe Logik des Magnificat zog sich wie ein kaum sichtbarer spiritueller roter Faden durch diese Humortagung.
Wir beschäftigten uns mit der Paradoxen Intention (nach Viktor Frank!), mit der Provokativen Therapie (nach Frank Farrelly) und mit der nonverbalen Seite des Humors (Commedia dell Arte). Wir lernten nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem durch unser Erleben: mit Mimik, Gestik, mit Verkleidung und Masken. Das Lernen war ein Spiel. Elke-Maria Riedmann lehrte uns, den Clown in uns zu entdecken …
Georg Hummler